Zum Lübcke-Mord-Prozess

28. Januar 2021

Anlässlich der Urteilsverkündung im Lübcke-Mord-Prozess fanden in Frankfurt/M. und Kassel Kundgebungen antifaschistischer Organisationen statt. Ulrich Schneider bereitete für die VVN-BdA für beide Veranstaltungen nachfolgenden Redebeitrag vor:

Am Tag der Urteilsverkündung möchte ich noch einmal zurückblicken auf den Beginn des Prozesses. Aus unserer Perspektive als VVN-BdA war und ist das zentrale politische Problem des Prozesses seine Anlage als Verfahren gegen „Einzeltäter“. Die Anklage gegen Stephan Ernst und Markus Hartmann blendete von Anfang an deren politisches Umfeld sowie die „Karriere“ der Täter im Netzwerk der extremen Rechten in Nordhessen aus. Das Gericht selber sorgte gemeinsam mit der Bundesanwaltschaft dafür, dass nicht der Hauch einer „terroristischen Vereinigung“ übrig blieb – ein Verfahren gegen den Waffenhändler wurde abgetrennt, ein weiterer Zeuge, der sich etwas „verplapperte“, wurde ermahnt, nicht mehr von seinen Kontakten zu Ernst zu berichten, damit nicht der Anschein einer Gruppe entstehe. 

Dabei konnten wir schon im Frühjahr 2020 – ohne den Apparat der Generalbundesanwaltschaft, des BKA und anderer Sicherheitsdienste und ihrer geheimdienstlichen Kenntnisse – nachweisen, dass Ernst und Hartmann seit vielen Jahren Teil eines umfassenderen extrem rechten Netzwerkes in Nordhessen waren. Dieses Netz reicht von der AfD bis zu dem gewalttätigen Kräften des – mittlerweile verbotenen – „Sturm 18“. Anders als der hessische Verfassungsschutz glauben machen wollte, waren Ernst und Hartmann nie „abgekühlt“, sondern tatsächlich Jahrzehnte und zum Zeitpunkt der Tat darin aktiv eingebunden.

Diese Zusammenhänge seitens des Gerichtes im Verfahren auszublenden, bedeutet, die Angeklagten aus den sie politisch prägenden Zusammenhängen herauszulösen. Schon die Freilassung von Markus Hartmann aus der Untersuchungshaft vermittelte Ende letzten Jahres den Eindruck, als wolle das Gericht tatsächlich diese „Einzeltäter-These“ zur Richtschnur seines Urteils machen. Damit kann nicht sichtbar werden, welche Dimension dieses neofaschistische Verbrechen tatsächlich besitzt.

Vor einigen Monaten hat nun der Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag seine Arbeit aufgenommen. Verschiedene Beweisanträge der Partei Die LINKE zielen genau auf die Aufarbeitung dieser neofaschistischen Netzwerke in Nordhessen und darüber hinaus.

Aber diese Zusammenhänge hätten aus unserer Sicht eigentlich Teil des juristischen Verfahrens sein müssen, denn nur dann kann man die Täter und die Tat selber angemessen einordnen, beurteilen und verurteilen. Aber das haben das Gericht und die Bundesanwaltschaft nicht angestrebt.

Auch wenn seit heute morgen bekannt ist, dass Stephan Ernst wegen Mordes verurteilt ist, möchte ich doch noch eine Bemerkung zur Verteidigungsstrategie von Stephan Ernst machen. Sein Verteidiger versuchte in vollem Wissen um die Tat, die Aussagen von Ernst und die Beweismittel, den Mordvorwurf zurückzuweisen, und auf „Todschlag“ zu plädieren, da – so seine Behauptung – Dr. Lübcke angesichts der Pistole nicht „arglos“ gewesen sein könne.

Ein solcher Versuch mag natürlich das gute Recht eines Verteidigers sein. Ihm dürfte dabei jedoch entgangen sein, dass seine Argumentation in peinlicher Weise Analogien aufweist zu einem anderen Justizskandal im Zusammenhang mit einem faschistischen Verbrechen, nämlich der Ermordung von Ernst Thälmann im KZ Buchenwald im August 1944.

Nachdem sich nämlich bundesdeutsche Gerichte bis in die 70er Jahre gesträubt hatten, überhaupt ein Verfahren gegen den Thälmann-Mörder Wolfgang Otto einzuleiten, kam es Mitte der 80er Jahre tatsächlich – auf Grund der nicht bestreitbaren Beweise – zu einer Verurteilung von Otto. Sein Verteidiger legte damals beim Bundesgerichtshof Revision ein und argumentierte, man könne Wolfgang Otto nur wegen „Todschlags“ verurteilen – und nun die tatsächlich wortgleiche Begründung zum Lübcke-Prozess – da Ernst Thälmann, als er nach Buchenwald gebracht wurde, nicht „arglos“ gewesen sein konnte, was sein Schicksal betrifft. Damit sei das Kriterium der „Heimtücke“ nicht erfüllt, also auch kein Mord. Der BGH folgte übrigens dieser Argumentation und kassierte die Verurteilung wegen Mord und entließ Wolfgang Otto in Freiheit, weil Todschlag in diesem Falle bereits 1964 verjährt war. Das Nicht-Handeln der bundesdeutschen Justiz führte damit zu einem faktischen Freispruch des Thälmann-Mörders. Damals ein rechtspolitischer Skandal!

Wir können als Konsequenz aus diesen Erfahrungen als VVN-BdA nur an alle verantwortungsbewussten Richter und Staatsanwälte appellieren, dafür einzutreten, dass es nie wieder möglich wird, mit juristischen Spitzfindigkeiten die tatsächlichen Verantwortlichen und das Netzwerk der Mittäter faschistischer Gewalt ihrer angemessen Bestrafung zu entziehen.

Silvia Gingold, die den Beitrag in Kassel verlesen hat, ergänzte:

Ich möchte noch einige persönliche Worte hinzufügen: Meine Tante Dora und mein Onkel Leo wurden grausam in den Gaskammern von Auschwitz ermordet, meine Eltern riskierten ihr Leben im Widerstand gegen die Nazis. Ich selbst stehe heute u.a. wegen meines antifaschistischen Engagements in der VVN unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Und ich bin nicht vom Bildschirm des VS verschwunden, nicht „abgekühlt“ wie Stephan Ernst. Der VVN wurde die Gemeinnützigkeit entzogen, weil sie im Visier des VS ist. Was aber gibt es Gemeinnützigeres als sich gegen demokratiefeindliche und rassistische Hetze zu wehren, die in Gewalt gegen Menschen anderer Ethnien oder Religionen enden kann, wie die Terroranschläge in Hanau und Halle und der Mord an Walter Lübcke in erschütternder Weise zeigen.

Esther Bejarano, Auschwitz-Überlebende und Ehrenvorsitzende der VVN sagt dazu: „Das Haus brennt und sie sperren die Feuerwehr aus“

Und Bertolt Brecht mahnte: „Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz“. Gegen das Vergessen, dafür stehen wir hier.

Unser Gedenken zum 27. Januar – Teil 2

27. Januar 2021

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Wie erwartet kamen im Laufe des Abends noch weitere Bilder von Gedenkaktionen, die wir euch nicht vorenthalten wollen.

Gedenken auf dem Wehlheider Friedhof
Und das berichtet am Donnerstag die HNA über unsere Aktion.

Noch einmal herzlichen Dank allen engagierten Menschen in Kassel und Region, die sich für diese Erinnerungsaktion engagiert haben.

Unser Gedenken am 27. Januar vor Ort – schöne Beispiel des Erinnerns

27. Januar 2021

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Seit heute Vormittag laufen die Bilder von kleineren Gedenkaktionen an den Stolpersteinen und Gedenkorten bei mir ein. Sogar aus Radeburg/ Sachsen schickte die Bürgermeisterin ein Foto ihres Kranzes an der FIR-Gedenksäule.

Alle diese Bilder zeigen, dass die Erinnerung an die Verfolgten des Naziregimes nicht verblasst. Selbst die Corona-Einschränkungen verhindern nicht, dass das Gedenken lebendig bleibt.

Wir dokumentieren hier die ersten Bilder. Sicherlich werden noch weitere folgen.  

27. Januar: VVN-BdA Kassel ruft auf zum symbolischen Gedenken

18. Januar 2021

Der Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz und Gedenktag für alle Opfer des NS-Regimes, der 27. Januar, soll auch in diesem Jahr Anlass zu öffentlich sichtbarer Erinnerung sein. Im vergangenen Jahr fand – gemeinsam mit anderen antifaschistischen Gruppen – eine eindrucksvolle Kundgebung vor dem Rathaus statt. Das ist angesichts der Corona-Lage in diesem Jahr nicht sinnvoll.

Wir rufen daher dazu auf – anknüpfend an unser „virtuelles Buchenwald-Gedenken“ im April 2020 – kleine symbolische Aktion mit wenigen Teilnehmenden und unter Einhaltung aller Hygieneregeln an den verschiedenen Gedenkorten und Tafeln in Kassel durchzuführen. Das kann die Gedenktafel für die ehemalige Synagoge in der Unteren Königstraße, die Tafel für die deportierten und ermordeten Sinti und Roma am Rathaus, die Gedenktafel am DGB-Haus in der Spohrstraße oder eine andere Erinnerungsstätte z.B. einer der vielen Stolpersteine in der Stadt sein.

Legt dort Blumen oder etwas anderes zur Erinnerung nieder und macht von dieser Aktion ein Foto. Schickt dieses Foto an kassel@vvn-bda.de und es wird auf der Homepage der Kasseler Kreisvereinigung als Zeichen der gemeinsamen Erinnerung veröffentlicht.

Vertreter der VVN-BdA Kreisvereinigung Kassel werden am 27. Januar 2021 um 15:00 Uhr mit zwei Transparenten und der Organisationsfahne am Mahnmal „Die Rampe“ an der Moritzstraße das Gedenken durchführen. Dazu laden wir die Vertreter der Presse ein. Es wird dort keine Kundgebung stattfinden, sondern allein diese symbolische Geste.

Nein zu geschichtsrevisionistischen Faschismus-Vergleichen

23. November 2020

Erklärung der Bundesvereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten zu den sich häufenden NS-Verharmlosungen und antisemitischen Vereinnahmungen der sogenannten „Querdenker“

Unter den Veranstalter:innen der Corona-Protestaktionen kommt es zunehmend in Mode, Faschismus relativierende Vergleiche in ihren Bühnenauftritten und Darstellungen einzubauen. Waren es zuerst „Judensterne“, die mit Losungen gegen eine angebliche Zwangsimpfung versehen auf Kundgebungen gezeigt wurden, oder Plakate gegen die „Merkel-Diktatur“, gab in den letzten Tagen weitere gezielte Provokationen. In Stuttgart schoben Eltern eine Elfjährige auf die Bühne, die unter dem Beifall der Zuhörer:innen erzählen durfte, sie habe sich wie Anne Frank gefühlt, weil sie ihren Geburtstag nur heimlich mit Freundinnen feiern konnte.

Vergangene Woche skandierten Demonstrantinnen in Berlin bei der Beratung des Bundestages über das Infektionsschutzgesetzes, man müsse „Widerstand gegen ein neues Ermächtigungsgesetz“ leisten. In Hamburg hatten die „Querdenker 40“ geplant, ihren „Schweigemarsch“ am 22.11.2020 zum Ida-Ehre-Platz führen, der an die als Jüdin im NS verfolgte Schauspielerin erinnert. Eine Blockade von Gegendemonstrant:innen wurde unter Androhung eines Wasserwerfer-Einsatzes mit Schlagstöcken und Pfefferspray von der Hamburger Polizei von der Route vertrieben, konnte allerdings verhindern, dass die Kundgebung auf dem Ida-Ehre-Platz stattfinden konnte.

Am Wochenende toppte eine 22-jährige „Jana aus Kassel“ dieses schäbige Verhalten, indem sie auf der Kundgebung von Corona-Kritiker:innen in Hannover sich mit Sophie Scholl verglich, da auch sie nicht aufhören wolle, für die Freiheit zu kämpfen. Dass ihr Auftritt gründlich misslang, war einem Ordner zu verdanken, dem bei diesen Thesen der Kragen platzte und der ihr während ihrer Ansprache offensiv entgegentrat.

Solche Faschismus-Vergleiche sind bei den Organisator:innen der Corona-Proteste keine „Ausrutscher“, sondern bewusste Grenzüberschreitungen. Man versucht erstens die in der Mehrheit der Bevölkerung vorhandene Grundeinstellung über die faschistischen Verbrechen für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Gleichzeitig wird damit eine Verharmlosung der tatsächlichen NS-Herrschaft betrieben, indem aktuelle administrative Maßnahmen zur Bekämpfung einer medizinischen Pandemie mit dem systematischen Staatsterror des NS-Regimes gegen politisch Andersdenkende, gegen religiöse und rassistisch Verfolgte gleichgesetzt werden.

In der Konsequenz folgt daraus: das Naziregime mit seinen Massenverbrechen kann gar nicht so schlimm gewesen sein. Bei solchem Geschichtsrevisionismus wird auch verständlich, warum sich „Reichsbürger“ und Neonazis bei diesen Veranstaltungen durchaus zuhause fühlen. Hier treffen sich verwandte Überzeugungen – nicht nur in der Kritik der Entscheidungen der Bundes- und Landesregierungen.

Deshalb ist es richtig und wichtig, wenn Demokrat:innen sich solchen Corona-Protesten aktiv widersetzen. Die Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand, das Gedenken an die millionenfachen Opfer der faschistischen Vernichtungspolitik und der militärischen Expansion verpflichtet uns, gegen jede Form von alltäglichen Geschichtsrevisionismus aufzutreten.

Wenn Nazis und Verschwörungsideologen den öffentlichen Raum beanspruchen: sag NEIN. Wenn Überlebende der Shoah für antisemitische Verschwörungsmythen in Anspruch genommen werden sollen: sag NEIN!

Ulrich Schneider

Novemberpogrome 1938: Eindrucksvoller Mahngang in Kassel am 7. Nov. 2020

7. November 2020

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Über 70 Menschen erinnerten der Opfer der Novemberpogrome:
Sie bekräftigten: Keine Toleranz gegen Neofaschismus und Antisemitismus!

Seit mehr als zwei Jahrzehnten führt die VVN-BdA mit gesellschaftlichen Partnern das traditionelle Gedenken aus Anlass der Novemberpogrome in Kassel durch. Auch in diesem Jahr kamen über 70 Menschen aus unterschiedlichen Generation, von den „Omas gegen Rechts“ bis zu Studierenden der Universität Kassel zusammen, um die Erinnerung an Verfolgung und faschistischen Terror lebendig zu halten und gleichzeitig ein Signal gegen Neofaschismus und Antisemitismus heute zu setzen.

Der Auftakt fand vor dem Rathaus mit Blick auf den Aschrott-Brunnen statt, der in unterschiedlicher Form den Umgang mit den jüdischen Mitbürgern und der Erinnerung an ihr Verfolgungsschicksal dokumentiert, wie Ulrich Schneider in seiner Einführung erläuterte.

Die nächste Station war der Opernplatz, wo Anfang April 1933 vor dem Spohrdenkmal ein Eselsgatter als „Konzentrationslager für Staatsbürger, die noch bei Juden kaufen“ errichtet wurde.

Am Obelisken wurde der Bogen von der Fluchterfahrung Kasseler Juden zur Situation heutiger Flüchtlinge in Kassel geschlagen. Dabei ging es nicht um falsche historische Gleichsetzungen, sondern um die Verantwortung unserer Gesellschaft heute für Menschen, die wegen Krieg, Verfolgung und Elend zu uns fliehen. Das biblische Motto auf dem Denkmal ist kein „Kalenderspruch“, sondern Verpflichtung.

In der Rosenstraße erinnerten die Teilnehmenden an die Ereignisse des 7. November 1938. Ein Zeuge, der die Ereignisse als Kind erlebt hatte, schilderte eindrucksvoll seine persönlichen Gefühle bei diesen gewalttätigen Übergriffen. Maria Seip vom Bildungswerk Anne Frank formulierte wichtige Überlegungen, wie das Gedenken heute gerade für junge Menschen entwickelt werden sollte.

In der Müllergasse besuchten die Teilnehmenden Stolpersteine. Jochen Boczkowski, berichtete, dass mittlerweile an etwa 100 Stellen in der Stadt solche Erinnerungszeichen zu finden sind. Er schilderte die Situation der Familie Plappar und weiterer jüdischer Familien, für die in der früheren Altstadt Stolpersteine gelegt worden sind.

Zum Abschluss versammelten sich die Teilnehmenden am Platz der ehemaligen Synagoge, wo ein Zeugenbericht aus dem Jahr 1938 verlesen wurde und die Notwendigkeit des öffentlichen Erinnerns für heute an die Opfer, die Täter und „Gaffer“, aber auch an diejenigen, die sich dem NS-Regime entgegen gestellt haben, eindringlich betont wurde.

Dieser Mahngang war ein deutliches Zeichen der Stadtgesellschaft, dass die historischen Ereignisse nicht vergessen werden. In dieser Stadt ist kein Platz für Neofaschismus, Rassismus und Antisemitismus.

VVN-BdA erstattete Strafantrag wegen Volksverhetzung gegen Michael Stürzenberger

31. Oktober 2020

Im Rahmen einer Kundgebungstournee der extrem rechten „Bürgerbewegung Pax Europa“ suchte der PEGIDA-Propagandist Michael Stürzenberger am 31. Oktober 2020 auch Kassel auf.

Angekündigt war sein Auftritt nur auf seiner Internetpräsentation, weshalb nur ein knappes Dutzend seiner Anhänger zu sehen waren. Das hinderte ihn aber nicht, auf dem Opernplatz seine Zuhörer mehrere Stunden mit Pauschalvorwürfen und rassistischen Plattitüden zu beschallen. So meinte er, selbst die SPD als „Scharia-Partei-Deutschlands“ denunzieren zu können. 

Bei seinen hasserfüllten Reden hat Michael Stürzenberger nicht nur seine Islam-Ablehnung erklärt, sondern mit verleumderischen Falschaussagen über den Koran und den Islam als Religion sowie aggressiver Polemik gegenüber anwesenden Muslimen eine Hetze gegenüber allen Menschen, die muslimischen Glaubens sind, lautstark in die Welt posaunt.

Er kritisierte dabei nicht den politischen Islamismus oder die IS-Ideologie, sondern explizit die Religion an sich. Damit hat er das Gebot der religiösen Toleranz in unserer Gesellschaft (Grundgesetz Artikel 4) grob verletzt und Menschen wegen ihres Glaubens herabgewürdigt. Daher erstattete die Kreisvereinigung Kassel der VVN-BdA heute Strafanzeige wegen Volksverhetzung und weiterer Beleidigungsdelikte.

Glücklicherweise fanden sich auf dem Opernplatz auch zahlreiche Menschen unterschiedlicher politischer Richtungen ein, die mit friedlichen Mitteln, aber deutlich hörbar Stürzenberger klar machten, dass Rassismus und hasserfüllte Polemik gegen Religionen in Kassel keinen Platz haben. Ihnen möchten wir danken.

Kassel begeht den Antikriegstag 2020

1. September 2020

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Trotz Corona-Einschränkungen konnte in Kassel die traditionelle Antikriegstagsaktion der Friedensbewegung stattfinden. Beginnend am Obelisken in der Treppenstraße sprachen nach einem musikalischen Auftakt von Hans Dinant das Kasseler Friedensforum, die Vertreter der katholischen und der evangelischen Kirche und ein Sprecher der „Seebrücke“. Sie unterstrichen mit eindrucksvollen Worten die Aktualität dieses Datums.

Gemeinsam begaben sich die etwa 200 Teilnehmenden auf einen kurzen Demonstrationszug durch die Kasseler Innenstadt zum Friedrichsplatz, wo die Abschlusskundgebung stattfand.

Auch hier begleitete Hans Dinant mit seinem Repertoire an Antikriegsliedern die Aktion. Auf der Abschlusskundgebung sprach als Vertreterin der DGB Region Nordhessen Jenny Huschke, die den Zusammenhang zwischen Abrüstung und sozial angemessener Finanzierung von Gesundheitswesen und Bildung thematisierte.

Für die VVN-BdA erklärte Ulrich Schneider an den konkreten Beispielen der Kriegsplanung und Kriegsvorbereitung, welche Rolle Kassel bezogen auf den Zweiten Weltkrieg gespielt hat und wer als Opfer dieses Krieges angesehen werden könne.

Nachfolgend die Ansprache im Wortlaut:

Wenn wir hier auf dem Friedrichsplatz unsere Abschlusskundgebung zum diesjährigen Antikriegstag durchführen, dann sollten wir uns bewusst machen, dass dies in Kassel der Ort der ideologischen Kriegsvorbereitung, der offenen Kriegspropaganda war.

Seit 1935 fanden auf diesem Platz die Aufmärsche anlässlich der alljährlichen „Reichskriegertage“ statt. Hier versammelten sich alle Ewig-Gestrigen, die gewillt waren, die Ergebnisse des Ersten Weltkriegs militärisch zu revidieren. Einmal im Jahr trafen ehemalige Frontkämpfer, des Stahlhelms, des Kyffhäuser-Verbandes und des NS-Frontkämpfer-Verbandes auf dem Friedrichsplatz in Marschformation zusammen und bekräftigten, dass sie den Versailler Vertrag so schnell wie möglich überwinden wollten. Selbst wenn bei diesen Gelegenheiten das Wort „Frieden“ öffentlich geäußert wurde, so bedeuteten doch die Forderungen nach „Gleichberechtigung mit England und Frankreich“ nichts anderes als militaristische Machtansprüche gegenüber den Nachbarländern.

Anlässlich des 1. Großdeutschen Reichskriegertages marschierten nach Berichten des Propagandaministeriums fast 300.000 Soldaten des Ersten Weltkriegs und der Wehrmacht aus dem Deutschen Reich, Österreichs und dem Sudentengebiet im Juni 1939 in Kassel auf. Selbst Hitler flog zu diesem militärischen Aufmarsch ein. In dem Online-Lexikon „regiowiki“ kann man über diese Propagandaaufmarsch lesen, es gab „Erbsensuppe mit Speck, Gulasch mit Pilzen und Ochsenfleisch mit Nudeln.“ Dass mit dieser Machtdemonstration, zu der man auch Gäste aus Italien, Rumänien und Japan eingeladen hatte, jedoch der Zweite Weltkrieg eingeläutet wurde, sucht man dort vergeblich.

Aber nicht nur auf der Ebene der Propaganda hatte sich Kassel bis 1939 zu einem Zentrum der faschistischen Kriegsvorbereitung und Kriegsführung entwickelt.

In Kassel fand die strategische Kriegsplanung des Oberkommandos der Wehrmacht in den Räumen des Generalkommandos, das von dem ursprünglich beschränkten Gebäude hier in der Oberen Königstraße im Mai 1938 in den Gebäudekomplex am Bahnhof Wilhelmshöhe umzog, statt. In sieben großen Sitzungssälen gab es nun genügend Platz für Sandkastenspiele zur Einsatzplanung beim Überfall auf Polen, dem Fall „Grün“, dem geplanten Überfall auf Frankreich, Belgien und die Niederlande, dem Fall „Weiß“, oder zum Einsatz der Heereseinheiten beim Überfall auf die Sowjetunion, dem Fall „Barbarossa“

Kassel war einer der zentralen Produktionsorte für Kriegsmaterial – erinnert sei nur an die Panzer- und Militärfahrzeugproduktion bei Henschel, Bode, Wegmann und Crede sowie an das im Krieg errichtete Werk für Henschel Flugmotoren, dem Gebäude des heutigen VW-Werks in Baunatal. Und das waren nur die größten Betriebe.

Kassel war ein logistisches Zentrum der Truppenbewegung und der Transporte von Militärgütern zwischen der West- und Ostfront oder vom Produktionsort Ruhrgebiet an die verschiedenen Frontabschnitte. Wer die militärische Infrastruktur des faschistischen Deutschlands treffen wollte, lag mit einem Angriff auf Kassel durchaus richtig.

Und so entwickelte sich Kassel faktisch zum Magnet für alliierte Bombenziele. Den schwersten Angriff erlebte die Stadt in der Nacht vom 22./23. Oktober 1943. Trotzdem hört man bis heute in der Stadt Stimmen, die erklären, die Kasseler Zivilbevölkerung sei Opfer des „alliierten Luftterrors“ geworden. Gegen solche Aussagen möchte ich deutlich unterstreichen – der Begriff „Opfer“ ist richtigerweise nur anzuwenden auf diejenigen, die tatsächlich Verfolgte des Naziregimes gewesen sind. Und das war bereits eine große Gruppe der Gesellschaft.

Zu ihnen gehörten in Kassel die politischen Gegner, Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, linke Liberale und andere, die seit 1933 in der Stadt verfolgt und inhaftiert, nach Breitenau verschleppt oder später im Zuchthaus Kassel-Wehlheiden inhaftiert wurden. Zu den Opfern des Faschismus gehörte die große Zahl der aus Gründen des Rassismus Verfolgten, die große Zahl jüdischer Bürger, Sinti und Roma oder so genannte „Gemeinschaftsfremde“, die sich – aus der Sicht der Nazis – nicht in die Volksgemeinschaft einordneten. Und zu den Opfern gehörten selbstverständlich auch die Kriegsgefangenen und ausländischen Zwangsarbeiter des Zweiten Weltkrieges, von denen weit über 30.000 allein nach Kassel verschleppt worden waren. Sie verdienen aus meiner Sicht den Begriff „Opfer“, auch wenn sich die politischen Gegner selber auch als Kämpfer gegen den Faschismus verstanden.  

Mit dieser Aussage liegt es mir fern, die Kasseler Toten des Bombenkrieges abzuwerten. Denn die 10.000 Toten der Bombennacht waren auch Opfer, aber sie waren Opfer der deutschen faschistischen Kriegspolitik und sie waren in gewisser Weise Opfer ihrer eigenen Verblendung, denn – wie wir wissen – hat ein Großteil der Bevölkerung diese Kriegspolitik mitgetragen. Schon als 1933 die Propaganda-Veranstaltung „Luftschutz tut Not“ in der Karlsaue vor der Orangerie mit dem Abbrennen der Papp-Masche-Silhouette der Stadt Kassel endete, waren Tausende Schaulustige Zeugen des Geschehens. Von irgendwelchen Formen von Zweifeln oder gar öffentlichem Widerspruch ist nichts bekannt.

Diejenigen, die warnten „Wer Hitler wählt, wählt Krieg“, waren schon vor 1933 in der Minderheit. Und diejenigen, die sich bis 1939 den Kriegsvorbereitungen entgegenstellten, waren eine noch kleinere Gruppe. Aber sie standen auf der richtigen Seite der Geschichte.

An sie wollen wir am heutigen Antikriegstag einmal mehr erinnern. Und ihren Beispielen folgend müssen wir heute – unter viel einfacheren Bedingungen, wo wir nicht um unsere Freiheit, Gesundheit oder gar Leben fürchten müssen – uns in aller Deutlichkeit gegen Kriegspolitik, Konfliktverschärfung durch Rüstungsexporte, militärische Konfliktlösungen und Rassenhass, der zu Gewalt auch im Inneren unseres Landes führt, wehren.

Damals wurden unter dem Schlagwort „Volksgemeinschaft“ alle so genannten „Gemeinschaftsfremden“ ausgegrenzt, drangsaliert und verfolgt. Heute glauben rassistische Gewalttäter, wie vor einem halben Jahr in Hanau oder zuvor in Halle, den „Volkswillen“ umzusetzen, wenn sie ihren Hass gegen Menschen, die sie zu „Fremden“ erklären, in Mordaktionen umsetzen. Kriegs nach Außen und Gewalt nach Innen sind jedoch nur zwei Seiten derselben Medaille – nämlich Faschismus. Und daher bleiben wir dabei: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“

1. September 2020 Antikriegstag in Kassel

24. August 2020

In diesem Jahr erinnern wir am 1. September an den 75. Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkrieges in der pazifischen Region und den 81. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen.
Unsere Mahnung vor Militarisierung und Kriegen ist nicht nur an „runden Jubiläen“ nötig, sondern eine dauernde Verpflichtung in dieser Stadt. Aufrüstung und Waffenproduktion haben hier beginnend mit der faschistischen Kriegspolitik und der verheerenden Bombennacht
im Oktober 1943, der Wiederaufnahme der Panzerproduktion in den 1950er Jahren, aber auch der Rüstungskonversion nach der Schließung der Kasernen immer eine Rolle gespielt.
Gleichzeitig erinnern wir daran, dass viele Probleme in dieser Welt wie z.B. die Flüchtlingsbewegung ihre Ursache in den verschiedenen Krisenschauplätzen außerhalb Europas haben.
Wenn Hunger, soziales Elend und Krieg den Menschen keine lebenswerten Perspektiven ermöglichen, kann es nicht verwundern, dass diese Menschen sich auf den den Weg in eine vermeindlich bessere Zukunft nach Europa machen.
Friedenspolitik muss heute außerdem verbunden sein mit den Forderungen der Umweltbewegung zum Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen (u.a. „Fridays for future“).

Treffpunkt: Di., 1.Sept.2020, 16:30 h am Obelisken (Treppenstraße)
Programmablauf:
Begrüßung durch das Kasseler Friedensforum, Beiträge der „Seebrücke“ zum Thema Flüchtlinge und Kriegsursachen (angefragt) und der Kasseler Kirchen,
anschließend gemeinsame Demonstration durch die Innenstadt.
Ab 17:30 Uhr Kundgebung am Friedrichsplatz
VVN-BdA zu „Kassel als Stadt der Reichskriegertage und Kriegsplanung“,
DGB zum Aufruf „Nie wieder Krieg! In die Zukunft investieren statt Aufrüsten“
DFG/VK zu Aktionen zum Rüstungsstandort Kassel
Musikalische Begleitung durch den Kasseler Liedermacher Hans Dinant

Eine gemeinsame Veranstaltung von DGB Region Nordhessen, Kasseler Friedensforum und VVN-BdA Kreisvereinigung Kassel

Entsprechend der Regelungen zum Schutz vor Ansteckung werden alle Teilnehmenden auf das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und die notwendigen Abstandsregeln hingewiesen.

Solidarität mit Janine Wissler

11. Juli 2020

Nachfolgenden Appell hat die Friedens- und Zukunftswerkstatt e.V., Frankfurt/M. veröffentlicht. Die VVN-BdA Kreisvereinigung unterstützt diese Solidaritätsaktion:

Die anonymen Morddrohungen gegen Janine Wissler, der Fraktionsvorsitzenden der LINKEN im Hessischen Landtag, macht uns betroffen. Dieser erneute Angriff auf eine gegen rassistische Politik und für Demokratie und Frieden engagierte Persönlichkeit ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der Rechtsextremismus in unserem Land wächst.

Zunehmend wird erkennbar, dass es sich nicht um verwirrte Einzeltäter handelt, sondern diese Kräfte in der Gesellschaft und auch in den öffentlichen Ämtern verwurzelt sind.

Deshalb kann es nicht nur darum gehen, Einzeltäter ausfindig zu machen. Für uns heißt Solidarität mit Janine Wissler, die Nazistrukturen endgültig zu überwinden. Dazu rufen wir alle Verantwortlichen wie auch unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger auf.

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