Kassels Antifaschisten organisieren sich neu

7. April 2020

Noch war der Krieg in Deutschland nicht zu Ende, dennoch begannen Antifaschisten auch in Kassel mit den Überlegungen für einen demokratischen Neuanfang. Trotz Ausgeh- und Versammlungsverbot kamen schon in den ersten Tagen und Wochen nach der Befreiung Kasseler Nazigegner zusammen, um zu überlegen, wie ein politischer Neuanfang aussehen soll.

Ehemalige Mitglieder der SPD, unter ihnen Rudolf Freidhof, Georg Häring und Hans Nitsche trafen sich zum ersten Mal Mitte April in der Privatwohnung von Karl Hermann in der Frankfurter Str.7 und später in den Räumlichkeiten des Rathauses.

Unter aktiver Beteiligung von Kommunisten entstanden in den stillgelegten Betrieben und einigen Stadtteilen die ersten „antifaschistischen Komitees“. Darüber hinaus fanden sich Einwohner verschiedener politischer Richtungen in „Aufräumungsausschüssen“ zusammen.

Den ersten organisationspolitischen Neuanfang versuchten ehemalige Gewerkschafter, wie Karl Eckerlin, Theo Hüpeden und Paul Pfetzing. Nach einigen Vorgesprächen fand am 25. April 1945 im Rathaus die erste größere Zusammenkunft statt. Nach Informationen von Max Wolff sollen an dieser Versammlung etwa 80 Personen teilgenommen haben. Doch es konnten keine Beschlüsse gefasst werden. Die Versammlung wurde nach kurzer Zeit vom amerikanischen Geheimdienst C.I.C. (Counter Intelligence Corps) aufgelöst. Solche Aktivitäten waren den Besatzungsoffizieren zum damaligen Zeitpunkt suspekt.

Doch damit gaben sich die Initiatoren nicht zufrieden. Paul Pfetzing, Karl Kuba und andere trugen „noch in derselben Woche der amerikanischen Militärregierung für den Stadt- und Landkreis Kassel den auf Wiedererrichtung der freien Gewerkschaft gerichteten Wunsch der Kasseler Arbeiterschaft“ vor, heißt es in einem Schreiben vom 6.Juni 1945. Eine Entscheidung darüber wurde jedoch seitens der Amerikaner „von Woche zu Woche zurückgestellt“.

Die Zeitung der amerikanischen Besatzungsmacht

Die Militäradministration verfolgte damals vorrangig ihre eigenen Projekte, so die Herausgabe einer Zeitung der amerikanischen Streitkräfte für die deutsche Zivilbevölkerung. Diese Idee entstand schon Ende 1944. Unter der Leitung von Hans Habe, dem späteren Verantwortlichen dieser Blätter, wurde über Konzept und Namen entschieden: So entstand die „Hessische Post“.

Als den amerikanischen Truppen in Kassel im Keller des Redaktionsgebäudes der „Kasseler Post“ am Wilhelmshöher Platz 4 die Rotationsmaschinen unversehrt in die Hände fielen, war klar, dass hier die „Hessische Post“ für den mittleren Bereich der amerikanischen Besatzungszone gedruckt werden würde. Die Technik war ausreichend, um eine Millionen-Auflage zu produzieren, die das gesamte Gebiet von Westfalen bis Thüringen und Sachsen, von Südniedersachsen bis Hochtaunus versorgte.

Für die Amerikaner war eine Zeitung aus mehreren Gründen wichtig. Sie sollte die Bevölkerung über die politische und militärische Lage, sowie über die Zielvorstellungen der Alliierten informieren. Damit wollte man den auch in Kassel grassierenden Gerüchten der Boden entziehe. Über eine Zeitung war es außerdem einfacher, die Anordnungen und Befehlen der Besatzungsmacht bzw. der neuen Verwaltungen bekannt zu machen.

Da die „Kurhessische Landeszeitung“ mit dem Ende des Naziregimes ihr Erscheinen eingestellt hatte, erschien am 28.April 1945 die erste Ausgabe der neuen Zeitung. Sie enthielt Nachrichten über die allgemeine militärische Lage, wie „Die Russen im Herzen Berlins“ und „Amerikanischer Vormarsch auf Österreich“, wie auch Meldungen, die das Leben der Menschen vor Ort betrafen. So forderte das Gesundheitsamt der Militärregierung die Bevölkerung von Kassel auf, das Trinkwasser zehn Minuten lang vor Gebrauch abzukochen.

Wie ambivalent dieser journalistische Neuanfang sein konnte, berichtet Stefan Heym – zeitweilig Stellvertreter von Hans Habe – in seiner literarischen Autobiographie: „In Kassel interviewt er (S.H.) den Stadtingenieur: Sagen Sie, wäre es nicht praktischer, den Krempel, wie er ist, einfach stehen und liegen zu lassen und irgendwo nebenan ein neues Kassel hinzustellen? Aber nein doch, antwortet der, unter der Erde ist ja alles noch da, Kanalisation, Wasserleitungen, Kabel. Natürlich hat der Mann recht, und die Hessische Post wird seine Antwort drucken, so wie er sie gegeben hat, und natürlich ist er auch Nazi gewesen, was sonst; der Interviewer hat längst aufgegeben, den Deutschen, mit denen er tagtäglich zu tun hat, die Frage zu stellen: Und wann wurden Sie gezwungen, in die Partei einzutreten ?“