Zwangsarbeiter in Kassel

16. März 2020

„Wir haben morgens immer die Kolonnen gehört, wenn die Zwangsarbeiter vom Lager Möncheberg durch unsere Straße zogen. Manchmal bin ich an das Fenster gegangen. Dann habe ich diese ärmlichen Gestalten gesehen“, berichtet eine Kasselerin, die in der Nordstadt lebte. Im Kriegswinter 1944/45 gehörten ausländischen Zwangsarbeiter zum alltäglichen Bild dieser Stadt.

Bereits im März 1940 kamen die ersten ausländischen Arbeiter nach Kassel. Die Henschel-Werke hatten dringend Arbeitskräfte angefordert, um die Kriegsproduktion aufrechterhalten zu können. 1943 machte der Anteil der ausländischen Arbeiter mit 13.000 weit mehr als die Hälfte der Belegschaft aus. In Frankreich und Belgien wurden sie anfangs angeworben, später – in den Niederlanden, in Polen und der Sowjetunion – wurden Männer und Frauen zwangsausgehoben. Die “Ostarbeiter“ standen auf der untersten Stufe der Hierarchie. Sie bekamen den geringsten Lohn, oftmals überhaupt keinen, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen unterschieden sich in negativer Hinsicht deutlich von den West-arbeitern. Rekrutiert wurden sie auch aus den Kriegsgefangenenlagern, besonders dem STALAG IX A in Ziegenhain. 1943 kamen noch italienische Militärinternierte hinzu.

Eingesetzt wurden sie in mehr als 60 Kasseler Betrieben, vor allem in den großen Rüstungswerken, wie z.B. bei Fieseler, Henschel & Sohn und Henschel Flugmotorenbau, in der Spinnfaser AG, bei Wegmann und Crede, aber auch beim Autohaus Opel, der Deutschen Arbeits-front, der Kasseler Verkehrsgesellschaft, der Reichsbahn und in der Landwirtschaft. Ab Oktober 1943 wurden sie auch bei der Trümmerbeseitigung nach den Bombardements eingesetzt.

Ihr Leben bestand faktisch nur aus Arbeit. Täglich, außer sonntags, mussten sie 10-12 Stunden arbeiten. Bei Henschel wurde „von 7-18 Uhr mit 15 Minuten Frühstückspause und etwa einer Stunde Mittag“ gearbeitet. Als ungelernte Arbeitskräfte wurden sie in körperlich besonders anstrengenden Bereichen eingesetzt. Wer die geforderte Leistung nicht schaffte, lief Gefahr, ins Arbeitserziehungslager Breitenau (AEL) verbracht zu werden.

Trotz harter Arbeit war die Ernährung katastrophal. Sie war so schlecht, dass sich die Geschäftsleitung von Fieseler über die „Unterernährung der Arbeitskräfte“ beschwerte. Doch blieb es bei einer Ration von etwa 2.200 Kalorien pro Tag für Schwerarbeiter. Manch einer überlebte nur, weil andere Arbeiter Solidarität übten. Frau B., die bei Wegmann arbeitete, sah bei den sowjetischen Zwangsarbeitern „die kärglichen Mahlzeiten, die kriegten ewig nur Kohlsuppe oder so etwas.“ Und sie berichtet: „Wir hatten denen immer mal Brot mitgenommen, von unserem, wo wir selber nicht so viel hatten.“

Die Zwangsarbeiter waren über ganz Kassel verstreut. In über 200 Lagern und Unterkünften von Bettenhausen bis Wolfsanger waren 1944 die über 30.000 Zwangsarbeiter untergebracht. Die Lager wurden von deutschen Zivilbeschäftigten geleitet, die sich jedoch – im nationalsozialistischen Sinne – “vorbildlich“ für die Ordnung in den Lagern einsetzten. Es herrschte ein Regiment, wie unter SS-Bedingungen. Die größten Lager waren die Möncheberger Gewerkschaft, Holländische Straße/Struthbachweg, General Scheffer Straße (heute: Damaschke-Straße), Nürnberger Straße und das Wohnlager Mattenberg.

Zwangsarbeiter galten als “Menschen 2.Klasse“ und jeder Kontakt zwischen Deutschen und Ausländern wurde untersagt. Die “Kurhessische Landeszeitung“ warnte daher die Leser unter der Überschrift: „Keine Gemeinschaft mit Volksfremden“ vor jedem menschlichen Umgang mit Polen. Wer sich nicht „auf Distanz“ zu den Ostarbeitern hielt wurde als Deutscher bzw. als Deutsche nur verwarnt. Die Ausländerinnen jedoch kamen ins KZ, die Ausländer wurden hingerichtet.

Besonders wegen ungenügender Arbeitsleistung wurden Ausländer terrorisiert. Im Lager Möncheberger Gewerkschaft gab es ein eigenes Gestapo-Straflager. Wer sich davon nicht beeindruckt zeigte, konnte nach Breitenau überführt werden oder direkt ins KZ Buchenwald. Mehrfach wurden in Kassel Ausländer hingerichtet. Im Oktober 1943 wurde gemeldet, dass 7 Ausländer gehenkt worden seien. Und im Mai 1944 berichtete das Rüstungskommando Kassel von der Hinrichtung dreier sowjetischer Kriegsgefangener wegen angeblicher Plünderung. Auch im Zuchthaus Wehlheiden wurden Todesurteile gegen ausländische Häftlinge vollstreckt.