Kassel erinnert an die Judendeportation 1941

10. Dezember 2022

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Am frühen Abend des 9. November 2022 erinnerten Stolpersteine in Kassel e.V. und VVN-BdA Kreisvereinigung Kassel mit einem Gedenkgang von der Arnold-Bode-Schule zum Kulturbahnhof auf dem „Weg der Deportierten“ an die erste Deportation von über 1000 jüdischen Menschen aus Nordhessen nach Riga. Am Sammelpunkt informierte Frank-Matthias Mann ausführlich über die historischen Hintergründe. Zum Abschluss formulierte Ulrich Schneider für die VVN-BdA, warum solche öffentlichen Gedenkaktionen notwendig sind.

Foto: Klaus Brocke

Wir erinnern und gedenken erneut in aller Öffentlichkeit an diesen Deportationstermin. Manch eine/ einer von euch war bereits am 7. November in diesem Jahr mit unserem traditionellen Gedenkgang zur Reichspogromnacht in Kassel, zu dem wir als Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten – kurz: VVN-BdA seit fast 25 Jahren einladen, hier vor Ort. Und wir werden auch in den kommenden Jahren immer wieder hierher kommen.
Nicht nur, weil wir zur Erinnerung den „Weg der Deportieren“ beschreiten wollen, sondern weil wir damit sichtbar und erlebbar machen wollen, dass sich diese menschenverachtende Politik vor den Augen der Kasseler Bürgerinnen und Bürger abgespielt hat. Und sie hat sich nicht nur „vor alle Augen“ abgespielt, sondern es wurde auch mit Neugierde, teilweise mit aktiver Beteiligung – und in vielen Fällen mit persönlicher Vorteilnahme umgesetzt.
Ich betone das deshalb, weil die Kriegs- und Nachkriegsgeneration gerne darauf hinwies, man habe von alle dem nichts gewusst. „Hitler war es!“
Das war nicht nur eine Lebenslüge, sondern auch eine Form der Verdrängung, mit der die eigene Verantwortung aus dem gesellschaftlichen Diskurs verdrängt werden sollte.
Vor wenigen Tagen wurde Fritz Bauer, der Frankfurter Generalstaatsanwalt, der in den 1960er Jahren den Auschwitz-Prozess auf den Weg gebracht hat, posthum mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille des Landes Hessen geehrt. Dass dies erst Jahrzehnte nach seinem Tod erfolgte, verdeutlicht einmal mehr, welche enormen Vorbehalte die tatsächliche Aufarbeitung der faschistischen Verbrechen überwinden musste. Die meisten kennen Fritz Bauers Ausspruch über die Abgrenzung der damaligen Gesellschaft gegen seine Vorbereitung des Auschwitz-Prozesses. Heute ist es weniger eine Ausgrenzung, sondern eher Ignoranz und Nichtwahrnehmen.

Nun, wo die Generation der Täter und der Tatbeteiligten faktisch nicht mehr vorhanden ist, geht es nicht mehr darum, diesen einen Spiegel vorzuhalten, sondern vielmehr darum, dem Vergessen entgegenzuarbeiten. Natürlich kann man darauf verweisen, dass es eine große Zahl von verdienstvollen Veröffentlichungen zu den Themen gibt. Mehrere der heute hier Anwesenden haben mit ihren eigenen Forschungen und Veröffentlichungen dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. Auch die neue Verantwortliche im Kasseler Stadtarchiv hat sich vorgenommen, die vorhandenen Unterlagen zu diesem historischen Kapitel handhabbar zu machen. Es geht also gar nicht in erster Linie um die weitere Erforschung der Verbrechen – obwohl es auch hier noch offene Fragen gibt –, es geht vielmehr um die Präsenz im gesellschaftlichen Bewusstsein der Zivilgesellschaft.
Dazu reichen keine offiziellen Gedenkveranstaltungen im Rathaus Bürgersaal, auch wenn sie ein Zeichen dafür sind, dass das Thema von der Stadtverwaltung wahrgenommen wird. Vielmehr muss es um eine lebendige Erinnerung in der zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit gehen, so wie sie die Stolpersteine, die blaue Linie auf dem „Weg der Deportierten“ oder die Gedenktafeln an sichtbarer Stelle es ermöglichen.

Dabei geht es gerade um die Erinnerung an die Menschen selber, die als Verfolgte, als Opfer den faschistischen Verbrechen ausgeliefert wurden. Die NS-Täter trachteten danach, sie zu anonymisieren. Die Menschen wurden in Massentransporten, die nur noch nach Hunderten zählten, verschleppt, in den Lagern und Haftstätten wurde ihnen – wenn sie denn überhaupt registriert wurden, der Name und die Identität geraubt und durch Nummern und Winkel ersetzt. Es ist die Herausforderung der heutigen und zukünftigen Generationen, ihnen für heute ihre Identität – und damit auch ein Stück ihre Menschenwürde – wieder zurückzugeben, indem wir an die Verbrechen erinnern und auch die Opfer benennen.

Ein weiterer Gedanke ist mir wichtig. Schon am 1. April 1933 zeigten die Nazis mit der öffentlichen Ausgrenzung und Stigmatisierung jüdischer Geschäfte, Arztpraxen und Rechtsanwaltkanzleien, dass der Umgang mit jüdischen Menschen zukünftig nicht mehr akzeptiert ist. Obwohl das NS-Regime noch lange nicht fest im Sattel saß, gab es keinen „Aufschrei des Entsetzens“ der Mehrheitsgesellschaft. Vielmehr waren die „ordentlichen Bürger“ bis zur Deportation bereit, alle ausgrenzenden Verordnungen und Gesetze „pflichtgetreu“ umzusetzen. Direkt und mittelbar Beteiligten an der Ausgrenzung, Ausplünderung und Verfolgung konnten sich damit beruhigen, man befolge ja „nur“ Gesetze. Wir haben vorhin gehört, wohin das führte.
Mit Blick auf diese verbrecherischen Konsequenzen stellt sich – gerade auch für heutige Generationen – die Frage, ob wir aufmerksam und politisch sensibel genug sind, solche Ausgrenzungen, Rassismus und Antisemitismus in seinen vielfältigen und subtilen Formen nicht nur wahrzunehmen, sondern auch mit aller Entschiedenheit und Klarheit zurückzuweisen. Nur dann hat Erinnerung einen Wert, wenn es nicht nur um die Trauer um die Opfer geht, sondern auch um gesellschaftliche Konsequenzen für unser Gemeinwesen.

Und wir sollten dran erinnern – und das ist ein zentrales Anliegen unserer Organisation, der VVN-BdA –, dass es auch in Kassel Menschen gab, die sich diesem Regime aus politischer oder humanistischer Überzeugung widersetzt haben, trotz aller Gefahren für ihre Gesundheit, ihre Freiheit oder gar ihr Leben. Sie waren eine Minderheit.
Für einige von ihnen haben wir in Kassel bereits Erinnerungszeichen, Stolpersteine, Gedenktafeln oder Straßennamen. Exemplarisch nenne ich nur Traugott Eschke, Kurt Finkenstein, Paula Lohagen, Max Mayr oder Konrad Merle. An diesen Widerstand zu erinnern, ist mir auch im Gedenken an die Opfer der Massenverbrechen immer wieder wichtig. Sie repräsentieren das – wie man es früher sagte – „andere Kassel“. Das ist eine positive Tradition, an die wir in unserem historischen Gedenken anknüpfen können.

In diesem Sinne ist unser Gedenken nicht retrospektiv oder allein historisch orientiert, sondern auf heutige Generationen bezogen. Sie sollen die Möglichkeit bekommen, sich nicht nur mit den verbrecherischen Ereignissen in ihrem eigenen Umfeld und den Strukturen, die das ermöglicht haben, zu beschäftigen, sondern auch die Menschen dahinter erkennen, die als Verfolgte davon betroffen waren, aber auch diejenigen, die bereit waren sich dem zu widersetzen. Das ist eine Botschaft für heute und morgen.

Ansprache in Kassel zum Friedensaktionstag 19.11.2022

19. November 2022

Vor genau neun Monaten am 19. Februar dieses Jahres haben sich sicherlich nur wenige vorstellen können, dass wir heute hier zusammenstehen müssen, um der Forderung Nachdruck zu verleihen, „Stoppt den Krieg in der Ukraine“.
Warum erinnere ich an dieses Datum? In der Tat gab es schon damals deutliche Anzeichen für eine sich anbahnende militärische Eskalation. Und schon damals gab es vernünftige Stimmen, die sich für Verhandlungen, für die Einhaltung von Verträgen und für eine militärische Deeskalation einsetzten. Am 20. Februar 2022 verbreitete die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) folgende Vorschläge, die sich mit den Ideen der internationalen Friedenskräfte deckten. Sie trat ein für:
• „Eine propagandistische Deeskalation und Vorbereitung einer europäischen Sicherheitskonferenz im OSZE-Format, in der vertragliche Vereinbarungen abgeschlossen werden, die den Sicherheitsinteressen aller Staaten in Europa entsprechen.
• Wer keine russischen Mittelstreckenraketen in Kaliningrad will, muss auch vertraglich zusagen, keine an anderer Stelle nahe der russischen Grenze zu positionieren.
• Wer will, dass russische Truppen nahe der eigenen Grenzen abgezogen werden, der darf keine NATO–Truppen an seiner eigenen Grenze vorsehen.
• Wer keine politisch-militärische Eskalation in Europa will, der muss verhindern, dass die NATO sich – entgegen aller politischen Absprachen – weiter nach Osten ausdehnt.
• Wer eine Deeskalation der Lage will, muss zurückkehren zu vertrauensbildenden Maßnahmen (wie z.B. dem open sky-Abkommen), den Prinzipien der NATO-Russland-Grundakte von 1997 und zu echten Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsverträgen, die durch die USA einseitig gekündigt worden sind.
• Nicht gefährliche Drohgebärden und Aufrüstung der Ukraine, sondern Diplomatie, eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur und der erkennbare Wille zur Abrüstung sind in dieser Situation nötig.
Die FIR und ihre Mitgliedsverbände haben schon vor mehreren Jahren die Forderung nach einer neuen Entspannungspolitik erhoben. Dies ist aktueller denn je. Dafür müssen sich die Friedenskräfte in allen europäischen Ländern öffentlich einsetzen.“
Das wurde vier Tage vor dem Krieg veröffentlicht.
Doch diese Stimmen fanden bei Politikern – und dabei nenne ich auch ganz ausdrücklich die Ampelkoalition und unsere Außenministerin – überhaupt kein Gehör. Vielmehr glaubte man mit markigen Worten und klaren „Signalen der Stärke“ die eigene außenpolitische Agenda durchsetzen zu können – auf Kosten von wem auch immer.
Fünf Tage später wurde in aller Brutalität sichtbar, wie aus politischen Drohgebärden ein konkreter Krieg entstand, weil im Vorfeld keinerlei Anstrengungen unternommen wurden, eine Deeskalation zu erreichen.

Und Dienstagnacht hätte es beinahe eine weitere Eskalationsstufe gegeben, als eine fehlgesteuerte ukrainische Luftabwehrrakete in einem polnischen Dorf einschlug und dort zwei Menschen tötete. Sofort waren kriegsbegeisterte Medien dabei, von einem russischen Angriff auf einen NATO-Staat zu berichten und den „Bündnisfall“ herbeizureden. Wir können froh sein, dass in dieser Situation rationales Handeln noch die Entscheidungen von Politikern bestimmte, man also seinen eigenen Geheimdienstinformationen mehr vertraute als dem Getöse in interessierten Medien.
Denn anderenfalls hätten wir heute in der Konsequenz einen großen Krieg zwischen der NATO und Russland, der im Moment noch als „Stellvertreterkrieg“ auf ukrainischem Boden ausgetragen wird.

Dabei ist der Begriff „Stellvertreterkrieg“ eigentlich in jeder Hinsicht unzureichend. Richtiger wäre die Beschreibung, dass dieser Krieg auf dem Rücken der ukrainischen – aber auch der russischen – Bevölkerung ausgetragen wird. Und das wissen wir aus allen militärischen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahrzehnte, dass Kriege zu aller erst zu Lasten der Menschen in den Kriegsregionen und darüber hinaus gehen. Auch deshalb lautet unsere Losung heute: „Stoppt das Töten in der Ukraine – Aufrüstung ist keine Lösung!“

Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, desto lauter werden zum Glück die Stimmen in der Zivilgesellschaft, die einen aktiven Beitrag der Diplomatie für eine sofortige Einstellung der Kämpfe und für den Beginn ernsthafter Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien fordern.
Niemand kann mehr übersehen, dass jeder weitere Tag des Krieges, jegliche weitere Waffenlieferung keinen Schritt zum Frieden bringt, sondern nur das Leid insbesondere der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten vergrößert. Zudem erleben wir am Beispiel des Streites um die Getreidelieferungen über das Schwarze Meer, dass insbesondere die ärmsten Staaten der Welt ebenfalls zu den Leidtragenden des Krieges gehören.

Anfang November haben deshalb die weltweit größten internationalen Verbände ehemaliger Kriegsteilnehmer und Verfolgter des Nazismus in allen Ländern, der Weltveteranenverband (WVF) und die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) sich in einem gemeinsamen Friedensappell für die sofortige Beendigung des Krieges in der Ukraine eingesetzt. In dem von ihren Präsidenten unterzeichneten Appell heißt es:
„WVF und FIR, beide als „Botschafter des Friedens“ der Vereinten Nationen ausgezeichnet, erheben in der Tradition der Veteranen des Zweiten Weltkriegs und der Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, verbunden mit relevanten Kräften der Zivilgesellschaft in vielen Ländern Europas, in der aktuellen Situation ihre Stimme, für die Beendigung des Krieges in der Ukraine.
Wir rufen beide Seiten und alle verbündeten Kräfte zu einem sofortigen Waffenstillstand und zur Aufnahme von internationalen Verhandlungen auf. Waffen werden niemals Frieden bringen, Diplomatie und Verhandlungen sind der einzige Weg. Dies ist vor allem notwendig, um das Leben der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten zu retten.
Darin sehen wir uns auch mit Papst Franziskus einig, der eindringlich vor der Gefahr eines Atomkriegs gewarnt hat, der nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch für alle europäischen Länder und definitiv für die gesamte Menschheit katastrophale Folgen haben wird.“

Diese Botschaft wurde Anfang November auf einer Großkundgebung von etwa 100.000 Menschen in Rom für „Frieden in Europa“ vorgetragen. Ein gesellschaftliches Bündnis aus antifaschistischen Verbänden, der größten italienischen Gewerkschaften, Friedensinitiativen und sozialen Netzwerken sowie christlichen Organisationen hatte zu dieser Großaktion aufgerufen.

Der Präsident des italienischen Partisanenverbandes ANPI hielt eine sehr emotionale Rede, die ich hier gerne zitieren möchte: „Warum sind wir hier? Wir sind hier, um zu schreien. Und unser Schrei wird lauter sein als das Getöse der Bomben. Er wird lauter sein, wenn wir uns immer mehr vereinen, wenn mehr Plätze wie dieser in Europa entstehen. Unser Schrei kann sich durchsetzen, wenn er zum Schrei eines Volkes, zum Schrei der Völker wird. Unser Schrei bricht das Schweigen der Diplomatie, verurteilt das Fehlen von Verhandlungen, lehnt den Krieg ab und erkennt alle als Brüder an. (…)
Es gibt einen anderen Weg, den Waffenstillstand, die Verhandlung, die internationale Konferenz, das Verbot von Atomwaffen. Es ist der Weg der Völker, des Lebens, des Traums von einer anderen, weniger unglücklichen Welt. Das ist der Weg der heutigen Partisanen. Partisanen des Friedens, Partisanen der Menschlichkeit.“

Leider sind wir in Deutschland von einer solch breiten Mobilisierung der Friedenskräfte noch weit entfernt. Dabei haben viele Menschen in unserem Land große Sorgen über die Fortsetzung der militärischen Eskalation. Es melden sich auch vermehrt wirkliche Fachleute, ehemaligen Militärs, Politiker, Diplomaten oder Journalisten mit Analysen und öffentlichen Stellungnahmen zu Wort, in denen sie die Rückkehr zu Diplomatie und Verhandlungen einfordern. Sie stellen sich damit gegen die politischen „Schwüre unverbrüchlicher Treue“ und massive Militarisierung der Kriegsregion, wie sie gerade erst wieder bei der Tagung der Außenminister der G7-Staaten propagiert wurde.
Auch wenn wir nur wenige sind, stehen wir heute in Kassel und wollen mit unserer kleinen Aktion, wie sie an diesem Tag in verschiedenen Städten in Deutschland stattfinden, die Stimme der Vernunft, der Verhandlung und des Friedens hörbar werden lassen.
• Wir brauchen einen sofortigen Waffenstillstand.
• Russland und die Ukraine müssen die Vermittlungsangebote der Vereinten Nationen und anderer Staaten annehmen.
• Unsere Regierung und die Europäische Union müssen einen eigenen Beitrag zu dieser Deeskalation leisten.
• Nur so können der Krieg gestoppt und Menschenleben gerettet werden.

Öffentliches Gedenken der Novemberpogrome in Kassel

7. November 2022

Wie in allen Jahren zuvor hatten auch diesmal die VVN-BdA und das Kasseler Friedensforum am 7. November eingeladen zum traditionellen Mahngang auf den Spuren der Verfolgung und der Ausgrenzung. Etwa 50 Antifaschisten, unterschiedlichen Alters und aus verschiedenen politischen Zusammenhängen, nahmen daran teil. In seiner Begrüßungsansprache am Platz der ehemaligen Synagoge unterstrich Dr. Ulrich Schneider für die VVN-BdA:

Ob 84. Jahrestag oder ein anderes Datum, wir erinnern seit mehr als zwei Jahrzehnten daran, dass die Pogromnacht 1938, und damit die Vorbereitung der Deportation auch der Kasseler Jüdinnen und Juden in die Ghettos und Vernichtungslager vor über 80 Jahren, in dieser Stadt „vor aller Augen“ stattfand. Niemand konnte behaupten, er habe davon nichts gewusst, wie uns vor einigen Jahren ein Zeitzeuge in der Rosenstraße anschaulich berichtete.

Mit diesem alljährlichen Gedenkgang halten wir die Erinnerung an Verfolgung und faschistischen Terror lebendig und setzen gleichzeitig ein Signal gegen Neofaschismus und Antisemitismus heute.
In diesem Jahr haben wir unser Botschaft ein wenig gegenüber den vergangenen Jahren verändert. Wir sagen nicht nur:
In Kassel ist kein Platz für Neofaschismus, Rassismus und Antisemitismus.
Sondern betonen auch in aller Deutlichkeit:
Kassel ist keine Stadt des Antisemitismus.

Wir wissen und haben in der öffentlichen Debatte um die documenta15 erleben müssen, Antisemitismus und Rassismus sind keine „historischen“ Themen. Es bedarf aber gerade der historischen Erinnerung, um pauschale Anwürfe und tagespolitische Instrumentalisierungen zu verhindern. Die VVN, aber auch die „Omas gegen rechts“ und andere haben mit ihren Veranstaltungen im ruru-Haus dazu ihren Beitrag geleistet.
Gerade am heutigen Tag wird das sichtbar. Vorhin fand das Gedenken der jüdischen Gemeinde mit der Stadt auf dem jüdischen Friedhof in Bettenhausen statt, jetzt gestalten wir unseren alljährlichen Mahngang und um 18:00 im Rathaus, Bürgersaal findet eine Veranstaltung – gemeinsam mit der Stolperstein-Initiative statt, auf der junge Menschen ihre Projekte zur Erinnerung vorstellen.
Wir werden heute unseren Rundgang zur lokalen Erinnerung mit dem sichtbaren Zeichen des Gedenkens an die Deportation von der heutigen Arnold-Bode-Schule zum Kulturbahnhof verbinden.
An diesen Beispielen zeigt die Zivilgesellschaft, dass das geschichtspolitische Erinnern der antisemitischen Verbrechen tatsächlich gelebt wird.

Es gibt aber keinen Grund, sich beruhigt zurückzulehnen. Ich erinnere daran, nicht nur, weil vor wenigen Tagen Dummköpfe glaubten, an die Mauer der Synagoge Graffitis anbringen zu müssen, dass wir in diesem Jahr mehrfach Hakenkreuz-Schmierereien in der Stadt erleben mussten. Im April schrieben wir dazu einen offenen Brief an die Stadt und die Stadtgesellschaft – eine offizielle Reaktion dazu erreichte uns bis heute nicht. Wegducken oder Ignorieren sind aber keine Antwort. Deshalb ist unser öffentliches politisches Handeln immer wieder gefordert.

Von der Pogromnacht in Kassel 1938 zur Deportation in die Ghettos und Vernichtungslager

28. Oktober 2022

Im Gedenken der Opfer der Novemberpogrome:
Keine Toleranz gegen Neofaschismus und Antisemitismus!

Mit diesem alljährlichen Gedenkgang halten wir die Erinnerung an Verfolgung und faschistischen Terror lebendig und setzen gleichzeitig ein Signal gegen Neofaschismus und Antisemitismus heute.
Wir erinnern daran, dass die Pogromnacht 1938 – „vor aller Augen“ – die Vorbereitung der Deportation auch der Kasseler Jüdinnen und Juden in die Ghettos und Vernichtungslager vor über 80 Jahren war. Dabei wird der Rundgang die lokale Erinnerung mit dem sichtbaren Zeichen des Gedenkens an die Deportation von der heutigen Arnold-Bode-Schule zum Kulturbahnhof verbinden.
Wir wissen und haben in der öffentlichen Debatte um die documenta15 erleben müssen, Antisemitismus und Rassismus sind keine „historischen“ Themen. Es bedarf aber gerade der historischen Erinnerung, um pauschale Anwürfe und tagespolitische Instrumentalisierungen zu verhindern. Daher wollen wir mit und
gegenüber der Stadtgesellschaft sichtbar machen:

Kassel ist keine Stadt des Antisemitismus.
In Kassel ist kein Platz für Neofaschismus, Rassismus und Antisemitismus.

Gedenkkundgebung und Mahngang
am Montag, den 7.November 2022, um 16.30 Uhr
Treffpunkt: Gedenktafel ehem. Synagoge, Untere Königstraße,
anschließend
Mahngang auf den Spuren der Erinnerung an Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung
(Die Beachtung der Corona-Regelungen wird von allen Teilnehmenden erwartet)
Der Mahngang endet um 17:45 h am Rathaus, so dass alle Interessierten an der Gedenkveranstaltung mit Schülerprojekte zur Erinnerung um 18:00 h teilnehmen können.

Kreismitgliederversammlung

20. September 2022

Nach lebhaften 100 Tagen documenta15 in Kassel, in denen wir mit verschiedenen Beiträgen aktiv beteiligt waren, findet am Donnerstag, den 13. Oktober 2022 ab 18:30 h unsere

Kreismitgliederversammlung

statt.

Als Themen schlagen wir vor:
1. Rückblick auf die documenta15 und unsere Beiträge
2. geplante Aktivitäten der VVN-BdA in Kassel ab Oktober 2022, darunter
        – Aktionen zur Pogromnacht im November 1938 (Gedenkspur einbeziehen)
        – Sozialproteste im Herbst ohne rechte Gruppen
        – Planungen für den 30. Januar 1933-2023
3. Weiterentwicklung der Strukturen der Kasseler VVN-BdA (Mitgliederentwicklung, Vorstand etc.)
4. Verschiedenes

Natürlich ist bei dieser Beratung auch Platz für weitere Anregungen und Vorschläge.

Gäste sind willkommen. Wer teilnehmen möchte, schicke eine E-Mail an kassel@vvn-bda.de

Dann teilen wir euch den Versammlungsort mit.

Ansprache zum Antikriegstag in Kassel

1. September 2022

Anlässlich des Antikriegstag am 1. September fand – aufgerufen von der GEW, dem Kasseler Friedensforum, den Naturfreunden Kassel und der VVN-BdA – in Kassel eine Demonstration und Kundgebung der Friedenskräfte statt. Auch Teilnehmende des Rheinmetall entwaffnen-Camps waren mit Transparenten zu sehen. Nach verschiedenen Ansprachen endete die Veranstaltung mit einem eindrucksvollen Konzert des Chor Provocale auf dem Friedrichsplatz. An der Aktion selber nahmen über 250 Menschen teil. Beim Abschlusskonzert sah man noch zahlreiche documenta-Besucher als „Zaungäste“. Ulrich Schneider hielt für die VVN-BdA folgende Ansprache:

Auftaktkundgebung am Obelisk, Foto Klaus Brocke

Es ist gut, dass wir heute hier in Kassel auf der Straße unsere Besorgnis über den Krieg und die militärische Gewalt, die nicht allein im Ukraine-Krieg gegenwärtig ausgeübt wird, zum Ausdruck bringen.

Am Wochenende war ich auf einer internationalen Tagung antifaschistischer Verbände in Budapest, der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR), und auch dort waren der Krieg und die Konsequenzen für das gesellschaftliche Handeln im Interesse der Menschen und des antifaschistischen Vermächtnisses ein großes Thema.

Von den verschiedenen nationalen Verbänden wurde beklagt, dass es keine erkennbaren Fortschritte gibt, im ersten Schritt einen Waffenstillstand herbeizuführen und im nächsten Schritt zu diplomatischen Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien zu kommen.

Obwohl wir innerhalb der FIR durchaus unterschiedliche politische Vorstellungen über die Weltlage haben, konnten wir uns dennoch auf einige Kernthesen verständigen, die ich hier in Kassel kurz vorstellen möchte.

So betonten wir als Dachorganisation der Verfolgtenverbände, Veteranen des antifaschistischen Kampfes und heutiger Antifaschisten mit Mitgliedsverbänden in 25 europäischen Staaten, Israel und Chile, die Ende der 1980er Jahre von den Vereinten Nationen mit dem Ehrentitel „Botschafter des Friedens“ ausgezeichnet wurde, dass für uns Antifaschismus niemals zur Legitimierung einer militärischen Aggression, geschweige denn eines Angriffskrieges gegen ein Nachbarland genutzt werden kann. Wir betonten, dass wir im Krieg immer auf der Seite der Opfer in der Zivilbevölkerung stehen, Opfer der Kampfhandlungen oder der Folgen der Wirtschaftssanktionen, die weniger die wirtschaftlich Mächtigen, sondern zuerst die einfachen Menschen – auch in unseren eigenen Ländern – treffen.

Aus diesem Grund treten wir ein für internationale Dialoge, die verhindern, dass Konflikte zwischen Nachbarstaaten mit Waffen ausgetragen werden, was ja nicht nur in der Ukraine Realität ist, sondern auch auf dem Balkan eine latente Gefahr darstellt. 

Da die FIR und ihre Mitgliedsverbände Frieden wollen, lehnen wir in aller Klarheit weitere Waffenlieferungen in die Kriegsgebiete ab. Waffen haben noch nie Frieden geschaffen. Stattdessen fordern wir den sofortigen Beginn von diplomatischen Initiativen, die auf die Kriegsparteien einwirken, in einen Waffenstillstand einzuwilligen, anstatt beispielsweise das AKW Saporischschja, was gegenwärtig von der russischen Armee kontrolliert wird, seitens der ukrainischen Armee zu beschießen, was die Gefahr einer atomaren Katastrophe in ganz Europa bedeutet. Der IAEA als internationale Kontrollorganisation muss endlich ein ungehinderter Zugang zu diesem Atomkraftwerk ermöglicht werden.   

Und uns ist vollkommen klar, dass der Krieg in der Ukraine kein Krieg zwischen zwei Nachbarstaaten ist, sondern eine gesamteuropäische, eigentlich eine weltweite Dimension besitzt. Daher ist eine dauerhafte Lösung dieses Problem nur möglich, wenn nicht nur die beiden in die Kämpfe direkt involvierten Länder, sondern alle europäischen Staaten sich auf den Weg machen zu einer neuen internationalen Konferenz für kollektive Sicherheit in Europa. Eine Konferenz im KSZE – Format, die 1975 dazu beitrug, die politische und militärische Konfrontation in Mitteleuropa erkennbar zu minimieren.

Zu einer solchen politischen Lösung müssen alle europäischen Regierungen, und damit auch unsere Bundesregierung beitragen. Wenn man jedoch die olivgrüne Außenministerin Frau Baerbock hört, die noch am Sonntag verkündete, wir stehen mit Waffenlieferungen solange an der Seite der Ukraine, wie sie es benötigt – ich würde es anders formulieren: Solange die Ukraine als handlungsfähiger Staat noch existiert – dann ist dort keine Bereitschaft für solches Handeln zu verspüren.

Ich war deshalb sehr froh zu lesen, dass gegenwärtig unter Sozialdemokraten, darunter auch SPD Bundestagsabgeordnete, ein Umdenken beginnt. Sie fordern Dialog bzw. Diplomatie, statt Waffenlieferungen und Verlängerung des Krieges. Unsere Aktion zum Antikriegstag sollte daher öffentlich dokumentieren, dass solche Diplomatie-Initiativen von der Zivilgesellschaft unterstützt werden.

Die Medien – und das gilt nicht nur für unser Land, wie Journalisten aus Belgien und Italien betonten – haben sich ja bedauerlicherweise auf eine „Kriegsbegeisterung“ eingeschossen – und hier ist diese militärische Formulierung in jeder Hinsicht angebracht.

Unsere Aktionen sind also unverzichtbar, unsere Aktionen müssen öffentlich wahrnehmbar sein, damit die Politiker erkennen können, dass sie mehr Zustimmung erhalten, wenn sie sich für Frieden einsetzen, und nicht, wenn sie Waffenlieferungen und Krieg unterstützen. Also lasst uns weiterhin lautstark zu Wort melden.

Art as a way to survive — Kunst als Überlebensmittel im KZ Buchenwald

24. August 2022

Zahlreiche Häftlinge des KZ Buchenwald haben mit bildhauerischen (Bruno Apitz) und grafischen Arbeiten (u.a. Herbert Sandberg, Henri Pieck, Paul Goyard und Boris Taslitzky) schon während ihrer KZ-Haft die Lagerwirklichkeit erfasst. Bildende Kunst in ihren verschiedenen Ausdrucksformen half den Häftlingen zum Überleben und war Medium, die eigene Widerständigkeit zu zeigen. Nach der Befreiung war Kunst eine Form, das Unsagbare sichtbar zu machen. Überlebende bearbeiten auf diese Weise die Bilder in ihrem Kopf.
Bis heute prägen Kunstwerke die Erinnerung, wie die Figurengruppe von Fritz Cremer vor dem Glockenturm und die Gedenkplatte von Horst Hoheisel und Andreas Knitz auf dem Appellplatz zeigen. Dabei stellt sich die Frage, ob bildende Kunst ein Zugang zu einer für Nachgeborene nur schwer nachzuvollziehende Wirklichkeit sein kann.
Mit zahlreichen Bildbeispielen soll diese Art des Überlebenskampfes im KZ Buchenwald illustriert werden.

Termin: 1. September 2022
Uhrzeit 18:00 – 20:00 Uhr
Ort: ruru-underground, Obere Königstraße, Kassel

Eine gemeinsame Veranstaltung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) und der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/ Freundeskreis.

Emotionale Hommage für Esther Bejarano

19. August 2022

Es war eine wunderbare Atmosphäre im ruru-underground am 18. August, als die VVN-BdA gemeinsam mit „Microphone Mafia“ an die großartige Antifaschistin erinnerte. Gezeigt wurde ihre Botschaft, die sie als „Zwischenruf“ in den Tagesthemen halten konnte, präsentiert wurden Texte und Interviewpassagen, die ihre politische Biographie vom Saarland über die faschistischen Lager, die Befreiung und Emigration nach Palästina sowie ihre Rückkehr nach Hamburg illustrierten. Jochen Boczkowski schilderte seine persönlichen Begegnungen mit Esther und Nissim Bejarano und im zweiten Teil des Abends ließ Kutlu von der „Microphone Mafia“ Esther Bejarano, ihre Musik und ihr antifaschistisches Vermächtnis noch einmal lebendig werden.

Es gab eine einhellige Meinung der annähernd 100 Besucher dieses Abends. Es war ein gelungener Abend und es war ein klares Signal der documenta, die diese Veranstaltung in ihren Räumlichkeiten ermöglicht hat, gegen Antisemitismus, Rassismus und alle andren Formen von Diskriminierung.

Ulrich Schneider und Jochen Boczkowski präsentieren Erinnerungen zu Esther Bejarano
Kutlu von der Microphone Mafia

Esther Bejarano -“Per la vita” – Musik an der Grenze des Lebens – mit «Microphone Mafia»

31. Juli 2022

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Vor einem Jahr, am 10. Juli 2021 starb Esther Bejarano, Jüdin, Auschwitz-Überlebende, Antifaschistin und Musikerin, Vorsitzende des Auschwitz-Komitees der BRD, Ehrenpräsidentin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) im Alter von 96 Jahren.

2010 dokumentierte ein Film das musikalische Wirken von Esther Bejarano und ihre gemeinsamen Auftritte mit der Kölner Rapper-Gruppe „Microphone Mafia“. Esther Bejarano (1924-2021) wurde als Jüdin verfolgt und nach Auschwitz deportiert. Sie überlebte Dank ihres musikalischen Talents als Mitglied des Mädchenorchesters im KZ Auschwitz-Birkenau. Nach ihrer Befreiung durch sowjetische und amerikanische Truppen in Lübz reiste sie nach Palästina aus, kehrte aber nach Deutschland zurück und engagierte sich seit den 1970er Jahren in Hamburg in der VVN-BdA. Als Zeitzeugin und Musikerin setze sie viele Jahrzehnte eindrucksvoll mit der NS-Vergangenheit und mit Neofaschismus heute auseinander.
Sie war eine moralische Institution und forderte im Frühjahr 2020 in einer Petition, die von über 150.000 Menschen unterstützt wurde: „Der 8. Mai muss Feiertag werden!“


Mit Bildern, Texten und Musik von «Microphone Mafia» wollen wir an diese Frau erinnern.

Bild: Auschwitz-Komitee


Termin: 18. August 2022, Beginn: 18 h.
Ort: ruru-Haus, underground, Obere Königstraße, Kassel

«Vive la Resistance! Vive la République!»

6. Juli 2022

VVN-BdA auf der documenta fifteen:

Unter diesem Titel findet am 14. Juli 2022 – anlässlich des französischen Nationalfeiertags – eine Veranstaltung zur Erinnerung an den französischen Widerstand gegen die deutsche Okkupation statt. Autobiographische Texte von Peter Gingold, einem deutschen jüdischen Kommunisten, der mit seiner Familie nach Paris emigrierte und in der Resistance kämpfte, werden von seiner Tochter Silvia Gingold und Ulrich Schneider vorgetragen. Françoise Magne-Kühn stellt die Biographie von Adélaide Hautval vor, Marie-Pascale Devignon-Tripp die von Geneviève de Gaulle-Anthonioz und Paul Leuck die von Nora Platiel.

Musikalisch begleitet wird die Veranstaltung von Joscha Gingold (Enkel von Peter Gingold).

Termin: 14. Juli 2022, 18 h (pünktlich, da die Veranstaltung um 20 h beendet sein muss).

Ort: ruru-Haus, underground, Obere Königstraße

Veranstalter:

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) und Deutsch-französisches Forum Kassel

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