Antikriegstag 2023 in Kassel

1. September 2023

Am 1. September fand – trotz widrigem Wetters – die traditionelle Antikriegstagskundgebung in Kassel auf dem Opernplatz statt. Über 100 Friedensfreund*innen waren zusammengekommen und hörten die Ansprachen von Marlies Wilde-Stockmeier (Kasseler Friedensforum), Jenny Huschkke (Regionsgeschäftführerin des DGB Nordhessen), Ulrich Schneider (VVN-BdA Kassel) und Joachim Cornelius-Bundschuh (ehem. Landesbischof der badischen Landeskirche).

Die Kundgebung wurde kulturell bereichert durch einen Auftritt des Chors provocale mit Liedern und Texten. Trotz der schlechten Witterungsbedingungen wurde diese Veranstaltung als gelungenes Signal für die Kasseler Öffentlichkeit gesehen, dass in dieser Stadt die Stimme der Friedensbewegung noch Gewicht hat. Nachfolgend die Ansprache von Ulrich Schneider für die VVN-BdA:

Foto: Klaus Brocke

Heute erinnern wir an die hitler-faschistische Aggression gegen Polen im Jahr 1939, den militärischen Beginn des Zweiten Weltkriegs, mit vielfältigen Friedensaktivitäten. In Kassel erinnern wir zudem im Oktober an den 80. Jahrestag der Zerstörung eines Großteils der Stadt in der Nacht vom 22./23. Oktober 1943 als Konsequenz dieser militärischen Aggression. Nun war es auch die deutsche Bevölkerung, die von diesem Krieg direkt betroffen war. Uns ist dieser Zusammenhang auch deshalb wichtig, um zu zeigen, dass in Kriegen zu allererst die Zivilbevölkerung leidtragend ist.
Trotz dieses historischen Rückblicks steht natürlich der gegenwärtige Krieg zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine im Fokus. Ein Ende der Kampfhandlungen ist nicht in Sicht. Stattdessen erleben wir in den letzten Monaten eine zunehmende Brutalisierung zu Lasten aller Menschen in den Kriegsregionen, in der Ukraine selber, im Donbass oder in den russischen Regionen, die mittlerweile ebenfalls Kriegsgebiet sind.
Mit Sorge verfolgen wir den Einsatz von Munition, die langfristig die Lebensgrundlage aller Menschen in dieser Region zerstört. Dazu gehört der Einsatz von nuklear angereicherten Geschossen, die angeblich eine höhere Durchschlagkraft haben, geliefert durch Großbritannien an die Ukraine. Bekannt ist, dass solche Munition eine Verseuchung des Kampfgebietes selber auf Jahrzehnte bedeutet. Ob man mit diesen Waffen die „Befreiung“ eines Gebietes erreicht, ist mehr als fraglich. Sicher ist jedoch, dass in dieser Region Menschen zukünftig nur mit gesundheitlichen Schäden werden leben können – egal, wer bei der militärischen Auseinandersetzung die Oberhand erreicht hat.
Gleiches gilt für den massiven Einsatz von Streumunition, Sprengfallen und Minen entweder beim Rückzug der eigenen Truppen oder bei der Sicherung von Verteidigungslinien. Schon bei der Überschwemmung durch die Staudammzerstörung wurden Landminen unkontrolliert durch die Wassermassen verteilt. Wir wissen aus früheren Kriegen insbesondere in Indochina, wo die USA in den Dschungelregionen von Kambodscha und Laos Anfang der 1970er Jahre massiv Streumunition eingesetzt hat, dass diese Waffensysteme eine der langfristigen Folgen eines Krieges auch nach der Beendigung der Kämpfe für die Zivilbevölkerung darstellen.
Und denken wir einfach nur an die Folgen, als hier in Kassel vor wenigen Tagen auf dem Gelände von Mercedes ein Blindgänger von vor 80 Jahren gefunden wurde. Zum Glück kamen keine Menschen zu Schaden.

Und ich muss sicherlich niemanden daran erinnern, dass als Konsequenz des Krieges und der politischen und militärischen Reaktionen aller Kriegsparteien etwa 16 Millionen Ukrainer aus dem Land flohen, gleichzeitig weitere Hunderte von Millionen Menschen in der ganzen Welt die Folgen eines Wirtschaftskriegs zu tragen haben, indem die Energiekosten extrem gestiegen, Düngemittel und Getreide für die ärmeren Länder der Welt fast unerschwinglich geworden sind und Spekulanten diesen Krieg nutzen, um ihre Gewinne zu steigern.

Dieser Krieg nimmt zunehmend den Charakter eines Stellvertreterkrieges zwischen Russland und den NATO-Staaten an – auf dem Rücken der Menschen in den Kriegsregionen. Während die Verbündeten der Ukraine mit der Ankündigung neuer Waffenlieferungen für einen Krieg planen, der noch viele Monate dauern soll, erklärte im November 2022 die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) in einem Appell:
„Waffen werden niemals Frieden bringen, Diplomatie und Verhandlungen sind der einzige Weg. Dies ist vor allem notwendig, um das Leben der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten zu retten.
Darin sehen wir uns auch in Übereinstimmung mit Papst Franziskus, der eindringlich vor der Gefahr eines Atomkrieges gewarnt hat, der nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch für alle europäischen Länder und erst recht für die gesamte Menschheit katastrophale Folgen haben wird.“
Auch die Staaten des globalen Südens unternehmen viele Anstrengungen unter dem Motto „Nein zum Krieg und Ja zum Dialog und zur Zusammenarbeit.“ Sie fordern die Einstellung der Militarisierung der Region und Beendigung der Sanktionspolitik, die insbesondere die ärmsten Staaten der Welt belasten.

Unter dem Motto: „Den Frieden gewinnen – nicht den Krieg!“ haben daher antifaschistische Verbände in verschiedenen Ländern heute einen weiteren Friedensappell gestartet.
Sie rufen die Menschen in allen Ländern auf, ihre öffentlichen Aktivitäten für den Frieden zu verstärken, am 1. September, dem Antikriegstag, oder am 21. September, dem Weltfriedenstag der Vereinten Nationen. Wenn die Stimmen der Völker lauter werden, müssen die Regierungen darauf reagieren. In dem Appell heißt es unter anderem:
„Ein sofortiger Waffenstillstand ist notwendig, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Waffenlieferungen werden keinen Frieden bringen, sondern nur eine Einstellung der Kämpfe und ernsthafte Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien.“
Das ist der Weg der Völker und des Lebens, der Traum von einer besseren, friedlicheren Welt.

In diesem Sinne verstehe ich unsere heutige Kundgebung als Teil dieser weltweiten Friedensinitiative.