9000 in Kassel gegen Rechtsentwicklung – für Demokratie

18. Januar 2025

Am 18. Januar versammelten sich – laut Veranstaltern – 9000 Menschen vor dem Staatstheater in Kassel zu einer Kundgebung und einer anschließenden Demonstration durch die Innenstadt. Es war eine bunte und vielfältige Aktion, an der alle Generationen vertreten waren – von jungen Leuten bis zu den Omas gegen Rechts, von Gewerkschaftsgruppen bis zu Seebrücke – und natürlich Mitglieder der VVN-BdA.

Bei der Auftaktkundgebung konnte die VVN-BdA einen kurzen Redebeitrag halten, den wir hier dokumentieren, da aufgrund der großen Teilnehmendenzahl nicht alle die Rede hören konnten.

Der Frankfurter jüdische Kommunist und Résistance Kämpfer Peter Gingold betonte bei vielen seiner Zeitzeugengespräche als eine Lehre des Jahres 1933: Der Faschismus habe nicht deshalb gesiegt, weil er stärker war, sondern weil seine Gegner uneins gewesen seien. Für diese Uneinigkeit gäbe es nur eine Entschuldigung. Man habe damals nicht gewusst, was der Faschismus an der Macht bringen würde. Diese Entschuldigung gilt heute nicht mehr, heute könne und müsse jeder wissen, was Faschismus bedeutet. 

Das ist einer der Gründe, warum wir von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) immer wieder – und nicht nur anlässlich „runder Jubiläen“ – an historischen Gedenktagen öffentlich erinnern. Am 27. Januar, dem Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die sowjetische Armee 1945, am 7. November, der im Jahre 1938 in Kassel den Beginn der Reichspogromnacht markierte, jener Tag, wo vor den Augen der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt Rassismus und Antisemitismus gewalttätig vollzogen wurden, aber auch am 8. Mai, dem Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg – wurde doch an diesem Datum auch gezeigt, dass die Gefahr der nazistischen Barbarei durch das gemeinsame Handeln aller Antifaschisten besiegt werden konnte. Ich meine ausdrücklich nicht nur die Kampfeinheiten der Alliierten, sondern auch den Widerstand in allen vom deutschen Faschismus okkupierten Ländern und die Antifaschisten im Deutschen Reich selber.

Deshalb erinnern wir an die Frauen und Männer in unserer Stadt, die unter Gefahr für Freiheit, Gesundheit und selbst ihr Leben bereit waren, sich dieser Bedrohung schon vor 1933 und unter den Bedingungen der faschistischen Verfolgung entgegenzustellen. Selbst wenn dieser Kampf – im Sinne des Sturzes des NS-Regimes – nicht erfolgreich war, so zeigt er uns als Nachgeborene, dass es immer möglich war und ist, hörbar „Nein“ zu sagen, wenn Unmenschlichkeit, Kriegsvorbereitung und Zerstörung der Demokratie drohen.  

Wir haben schon in Redebeiträgen gehört, gegen welche Bedrohungen der Demokratie wir heute laut und vernehmlich „Nein“ sagen müssen. Dabei sind die treibenden Kräfte nicht allein die offenen Faschisten. Manchmal sind diese nur die lautesten Stichwortgeber. Es sind oftmals auch diejenigen, die in einer Art Überbietungswettbewerb z.B. bei der Verschlechterung des Asylrechtes – eine Konsequenz aus den Erfahrungen faschistischer Verfolgung – unsere demokratische Ordnung, wie sie im Grundgesetz und Hessischer Landesverfassung fixiert ist, in Frage stellen.

Mehrfach schon wurden Entscheidungen der Regierenden durch höchste Gerichte zurückgewiesen. Das sind gute Zeichen einer funktionierenden Demokratie. Aber wenn man den Blick über unsere Landesgrenze richtet, z.B. nach Italien, Polen und Ungarn, dann sehen wir, wie solche juristischen Schutzschilde von der extremen Rechten zerstört werden.

Das war schon früher so. Im Sommer 1932 wurde die preußische Minderheitsregierung durch die Reichsregierung abgesetzt. Die SPD rief den Staatsgerichtshof an, bekam nach Monaten tatsächlich Recht, aber die faktische Kontrolle über die preußische Polizei und den Staatsapparat übte zu diesem Zeitpunkt bereits die extreme Rechte aus, so dass das sozialdemokratische Preußen kein Bollwerk gegen den Vormarsch der Nazis sein konnte. Der Schutz der Demokratie – und das ist eine historische Schlussfolgerung – kann nur durch den aktiven Einsatz der Zivilgesellschaft erfolgen. Die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano betonte immer wieder, beim Kampf gegen die extreme Rechte könne man sich auf den Staat nicht verlassen. So wie wir heute zusammenstehen, so müssen wir auch weiter gemeinsam gegen die Gefahren der Rechtsentwicklung und für unsere Demokratie aktiv sein. Die VVN-BdA wird ihren Beitrag dazu leisten.

Auch 2025 – gemeinsam gegen Rechtsentwicklung

4. Januar 2025

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Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde,

Ein neues Jahr kommt – und die alten Probleme bleiben. In diesem Jahr muss es gelingen, im Zusammenhang mit der anstehenden Bundestagswahl, die politische Rechtsentwicklung in unserem Land, die auch von den Regierenden betrieben wird, und den Vormarsch der AfD als ein Ausdruck dieser Tendenz zu stoppen. Dazu bedarf es politischer Aufklärung und öffentlicher Aktionen. Daher hat sich die VVN-BdA Kassel entschieden, den Aufruf des Bündnisses „Kasselergegenrechts“ und weiterer Organisationen zu einer Kundgebung am Samstag, den 18. Januar 13:00 h auf dem Friedrichsplatz mitzutragen. Hier das Plakat für die gemeinsame Aktion:

Kassel kann hier zeigen, dass in dieser Stadt kein Platz zur Neofaschismus, Rassismus, Antisemitismus und antidemokratische Kräfte ist. Demokratie schützen heißt auch, die Grundrechte, die für alle hier lebenden Menschen gelten – egal welchen Pass oder Aufenthaltsstatus sie haben, zu verteidigen.

Gedenken der Pogromnacht in Kassel

7. November 2024

Wie in den vergangenen Jahren fand auch an diesem 7. November der Gedenkgang zur Reichpogromnacht in Kassel statt.

Schon am Tag zuvor fand im ORBIT (neben dem ehem. Polizeipräsidium im Königstor) ein Vortrag zur Judenverfolgung in Kassel bis zur Pogromnacht statt. Gut zwanzig Interessierte verfolgten die Informationen und kamen ins Gespräch.

Der Gedenkgang, der in diesem Jahr an der Gedenktafel für die ehemalige Synagoge begann und zum Kulturbahnhof führte, war ebenfalls gut besucht. An verschiedenen Stationen wurde an die Ausgrenzung und Verfolgung jüdischer Menschen erinnert. Auf dem Bild ist Jochen Boczkowski zu sehen, der einige Informationen zu den Familien sagte, an die an dieser Stelle (neben der Reuter Schule) mit Stolpersteinen erinnert wird.

Foto: Klaus Brocke

Gedenken der Pogromnacht in Kassel – Gedenkgang

29. Oktober 2024

Gedenken der Pogromnacht in Kassel – Veranstaltung zur Geschichte

29. Oktober 2024

Kassel setzt ein Zeichen

4. September 2024

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Am 4. September kamen – organisiert durch das Bündnis „Kasseler gegen Rechts“ – gut 500 Menschen vor dem Kasseler Rathaus zusammen, um gegen den Vormarsch der extremen Rechten nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ein Zeichen für Demokratie zu setzen. Aufgerufen hatten verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter die VVN-BdA, von der zahlreiche Mitglieder auch an der Aktion teilnahmen.
Vor dem Rathaus sprachen ein Vertreter des DGB, von den „Omas gegen Rechts“ und des „Kasseler Bündnis gegen Rechts“. Sie alle beklagten nicht nur die dramatischen Ergebnisse der AfD in Thüringen und Sachsen, sondern benannten auch gesellschaftliche Ursachen und kritisierten die Politik der Bundesregierung und der CDU/CSU, die – statt der Hetze der AfD entgegenzutreten – das AfD-Narrativ bedienen und deren Themen in eigene Politik umsetzten.
An der Kundgebung nahmen Vertreter aller Generationen teil. Auffällig war das Fehlen der Kasseler politischen „Prominenz“. Kein Vertreter der Stadtregierung, nur wenige Abgeordnete des Stadtparlaments und Repräsentanten der etablierten „Stadtgesellschaft“ ließen sich bei dieser Aktion blicken.
Es war deutlich: Das Handeln gegen Rechts muss sich auf die Kasseler Zivilgesellschaft stützen. Sie muss auch in dieser Stadt, in der in einigen Stadtteilen die AfD ebenfalls auf 30% der Wählerstimmen kommt, politische Zeichen setzen.
Zum Abschluss ging es zum Halit-Platz. Der Ortsvorsteher des Stadtteils Kassel-Nordstadt konnte dort die Demonstrationsteilnehmer begrüßen.
Dank an alle Teilnehmenden dieser Aktion. Es war ein wichtiges Zeichen zur rechten Zeit.

Krieg begann in Kassel – auch in der Geschichte

31. August 2024

Am 31. August fand die Antikriegstags-Kundgebung mit guter Resonanz vor dem Kasseler Rathaus statt. Die Ansprache von Margot Käßmann, der Hauptrednerin, findet man auf der Homepage des Kasseler Friedensforums. Nachfolgend die Ansprache der VVN-BdA:

Mit Blick auf die aktuelle friedenspolitische Lage – nicht nur in der Ukraine oder im Israel-Gaza Krieg, sondern auch bei mehreren Dutzend militärischen Konflikten in der Welt, die aus der bundesdeutschen medialen Aufmerksamkeit verschwunden sind, fragt es sich, warum wir überhaupt an den 110. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges am 1. August 1914 und den 85. Jahrestag des Überfalls auf Polen, den Beginn des kriegerischen Teils des Zweiten Weltkrieges, erinnern. Erkennbar hat die Menschheit, haben die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker aus diesen historischen Erfahrungen wenig bis gar nichts gelernt.
Dennoch sollten wir, die Zivilgesellschaft an diese beiden Daten erinnern, weil sie uns auch in der heutigen Situation, in der Vertreter der Bundesregierung von „Zeitenwende“ und „Kriegstüchtigkeit“ sprechen, wichtige Erkenntnisse vermitteln können, wie solche kriegerischen Katastrophen vorbereitet wurden – und das auch in unserer Stadt.

Wenn ich an den Ersten Weltkrieg denke, dann reicht für historisch Kundige bereits das Stichwort Fritz Fischer-Debatte. Anfang der 1960er Jahren war es ein geschichtspolitischer Skandal, als der deutsche Historiker Fritz Fischer an Hand von Quellen aus der kaiserlichen Verwaltung belegen konnte, dass das wilhelminische Deutschland mit klarem Plan und sehenden Auges einen Krieg um den „Platz an der Sonne“ und die deutsche Weltmachtstellung vorbereitete. Es ging um Rohstoffe, Einflusszonen und die Vormacht in Mitteleuropa. Und nicht wenige dieser Planungstermine fanden hier in Kassel statt, im Schloss Wilhelmshöhe, in das der Kaiser seine militärischen Berater in seine „Sommerresidenz“ eingeladen hatte. Und es überrascht nicht, dass die militärisch geschlagene Generalität nach der Kapitulation 1918 wiederum im Schloss Wilhelmshöhe ihr Quartier aufschlug, als es um die Demobilisierung ging. Gelernt hatte dieser Generalstab aus der Niederlage und den verheerenden Konsequenzen des ersten Krieges nichts, wie das „Truppenamt“ der Reichswehr schon in der Weimarer Zeit bewies, als man sich bereits 1925 mit der Planung für den nächsten Krieg beschäftigte.

Wie dieser zweite Weg in den Krieg aussehen sollte, das hat die Hitler-Regierung schon 1933 mit der Reichswehrführung besprochen und in den folgenden Jahren mit Konsequenz umgesetzt.
Damit die Bevölkerung rechtzeitig und direkt in diese Kriegsvorbereitung eingebunden werden konnte, begann man schon 1933 mit einer ideologischen Einstimmung auf einen erneuten Waffengang. Dazu gehörte die Inszenierung „Luftschutz tut Not“ in der Karlsaue, bei der eine Pappmasche Silhouette der Kasseler Altstadt von Doppeldecker-Flugzeugen, die vom Fieseler-Flugfeld in Waldau aufgestiegen waren, mit Brandbomben zerstört wurde. Die Bürger wurden aufgefordert, auf ihren Dachböden Sandeimer und Feuerpatschen als „Luftschutz-Maßnahme“ bereitzustellen.
Während die Kriegswaffen- und Panzerproduktion in Kasseler Betrieben vor allem von den Beschäftigten wahrgenommen wurde, die Rüstungskonjunktur führte auch hier zu Vollbeschäftigung, zielten die jährlichen „Reichskriegertage“ auf die öffentliche Kriegseinstimmung. Die dort vertretenen Botschaften waren klar: Deutschland erwarte „Gleichberechtigung“, was faktisch meinte, dass die Verantwortung für den Ersten Weltkrieg aus dem öffentlichen Bewusstsein eliminiert werden sollte. Die Mächte des „Völkerbundes“ sollten die Militarisierung akzeptieren, gleichzeitig wurde die „Rückgabe deutscher Gebiete“ gefordert, was nichts anderes bedeutete als expansionistische Gebietsansprüche gegen fast alle Nachbarstaaten.
Zu diesen „Reichskriegertagen“ trafen sich auf dem Friedrichsplatz mehrere tausend Veteranen des ersten Weltkrieges und Einheiten der militärischen NS-Verbände zu großen öffentlichen Aufmärschen. Im Frühjahr 1939 fand der erste „großdeutsche Reichskriegertag“ statt, zu dem die Nazi-Regierung auch Diplomaten aus Berlin nach Kassel einlud, um ihnen diese „Heerschau“ zu präsentieren. Selbst Hitler ließ es sich nicht nehmen, anzureisen und in seiner Ansprache zu verkünden, nach dem Anschluss Österreichs, des Sudentengebietes und der Rest-Tschechei seien eigentlich alle territorialen Ansprüche erfüllt, Polen müsse nur noch die Frage des „Korridors“ und des Status der „Freien Stadt Danzig“, die jedoch unter Völkerbund-Kontrolle stand, im Sinne Deutschlands klären.
Wir wissen heute, dass zum Zeitpunkt dieser Rede im Generalkommando der Wehrmacht – und zwar hier in Kassel, in dem Protzgebäude am Bahnhof Wilhelmshöhe – der Kriegsplan gegen Polen, der „Fall Weiß“, bereits fix und fertig vorlag. Es war also niemals an eine „friedliche Lösung“ gedacht.
Die Konsequenzen des Krieges für unsere Stadt kennt ihr alle. Das Bombardement vom 22./23. Oktober 1943 war zwar das schwerste, aber nicht der letzte alliierte Bombenangriff auf die Stadt und seiner Einwohner. Die Innenstadt, die Altstadt der damaligen „Gauhauptstadt Kassel“ existierte anschließend nicht mehr.
Wenn wir uns an diese historischen Erfahrungen erinnern, dann ist es nachvollziehbar, dass es schon in den 1950er Jahren in dieser Stadt demonstrative Aktionen gegen Remilitarisierung und Rüstungsproduktion oder gegen Sprengschächte in Brücken und Hauptverkehrsstraßen gab. Es waren Arbeiterorganisationen und die Zivilgesellschaft, die in Kassel Verantwortung für den Frieden übernahmen. Daran zu erinnern heißt heute, uns klarzumachen, welche Verantwortung wir haben.
Das Thema Frieden ist viel zu wichtig, als dass wir es Politikern, Rüstungsprofiteuren oder gar dem Militär überlassen dürfen.
Frieden und Völkerverständigung sind und bleiben unsere Aufgabe.

Antikriegstag 2024 – wichtiger denn je

11. August 2024

Kundgebung Samstag, 31. August 2024, 12:00 h Rathaus, Kassel
Programm:
Begrüßung und kurze Redebeiträge
Hauptrednerin: Margot Käßmann,
(ehemalige Bischöfin und Ratsvorsitzende der EKD)
kulturelle Beiträge Sabine Wackernagel (Kasseler Schauspielerin)
musikalische Begleitung Dylans Dream

Vor 110 Jahren begann der Erste Weltkrieg. Am 1. September 1939, also vor 85 Jahren, begann mit dem Überfall Nazideutschlands auf Polen der Zweite Weltkrieg. Diese Jahrestage sind für uns nicht nur historische Erinnerung. Sie fordern unserer Ansicht nach politische Konsequenzen für eine friedliche Entwicklung in der Welt.
Angesichts der Eskalation der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten warnen politische Beobachterinnen und Beobachter vor der wachsenden Gefahr eines internationalen Krieges. Zudem erleben wir eine zunehmende Militarisierung der Gesellschaft. Wir lehnen die Wiedereinführung
der Wehrpflicht ab. Die Politik bemüht mehr und mehr und mehr Kriegsrhetorik. Und die Bundeswehr geht in Schulen verstärkt auf Schülerinnen und Schüler zu, um für sich und Nachwuchs zu werben. Rüstungsproduktion gilt – nicht nur in Kassel – als aufstrebender Wirtschaftsfaktor. Milliarden-Beträge der öffentlichen Haushalte werden für Waffen und Munition ausgegeben, statt sie in die täglich brüchiger werdende Öffentliche Daseinsvorsorge zu investieren.
Wir kritisieren nicht nur zunehmende Militarisierung und Kriegsgefahr. Wir wollen Frieden
neu denken!
Schon im vergangenen Jahr forderten die Gewerkschaften, die öffentliche Debatte über immer mehr Waffen endlich zu beenden und die Suche nach diplomatischen Lösungen in den aktuellen Kriegen zu verstärken. Die Friedenskräfte formulieren positive Visionen, wie aus der Spirale der Eskalation und der Militarisierung ausgebrochen werden kann. Wir treten gemeinsam für eine friedliche und solidarische Gesellschaft ein. Das bedeutet: das 100 Mrd. Euro umfassende Sondervermögen wäre in der öffentlichen Daseinsvorsorge, in Bildung und Betreuung, im Gesundheitssystem und in der Pflege, in Verwaltung und Infrastruktur zukunftsweisender angelegt.
Wir treten dafür ein, Leidtragenden von Kriegen und Gewalt Hilfe und Unterstützung zu gewähren, Kriegsverweigerer haben ein Recht auf Asyl. Deshalb wenden wir uns gegen Forderungen nach Rückführung – nicht nur – ukrainischer Kriegsflüchtlinge. Damit betreibt man AfD-Politik auf dem Rücken derer, die unseren Schutz brauchen, den wir ihnen im Sinne internationaler Konventionen gewähren. Mehr noch, die Kommunen brauchen ausreichend Unterstützung, um gelingende Integration gestalten zu können.
Der Antikriegstag 2024 zeigt, „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ bleibt aktuell!

Veranstalter: DGB Kreisverband Kassel, Kasseler Friedensforum, NaturFreunde Kassel, VVN-BdA Kreisvereinigung Kassel

8. Mai Ansprache Silvia Gingold

8. Mai 2024

Auf der Gedenkkundgebung am Ehrenmal für die Opfer des Faschismus in Kassel, zu der der DDG Kreis Kassel, das Kasseler Friedensforum, die NaturFreunde Kassel, Stolpersteine in Kassel e.V. und die VVN-BdA Kreisvereinigung Kassel eingeladen hatte und an der etwa 60 Personen teilnahmen, hielt Silvia Gingold, Tochter von Ettie und Peter Gingold, die in der französischen Resistance gekämpft hatten, nachfolgende Rede:

Foto: Klaus Brocke

„Die Befreiung! Der deutsche Faschismus endgültig zerschmettert, die Menschheit vor dem Untergang in die Barbarei gerettet! Ich hatte Tränen der Freude, aber auch der Trauer, wenn ich an all jene dachte, die ihr Leben für diesen Tag eingesetzt hatten, ihn aber nicht mehr erleben konnten.“ So erinnert sich mein Vater Peter Gingold an den Tag der Befreiung, den 8. Mai, den er in Turin unter den jubelnden Italienern erlebte.
Die Befreiung – es war der Sieg der Menschheit über die barbarischen Kriegsverbrechen der Nazis, den millionenfachen Mord, die systematische, menschenverachtende Massenvernichtung nach Plan. Auch einige meiner Familienangehörigen fielen diesem Naziterror in der Gaskammer von Auschwitz zum Opfer.
Den Jubel über den Untergang des mörderischen Nazistaates, wie ihn meine Eltern in Frankreich, mein Vater in Italien erlebt hatten, den hat es damals in Deutschland nicht gegeben. Nein, die Deutschen haben den 8.Mai nicht selbst herbeigeführt. Es waren die Kräfte der Antihitlerkoalition und die Kräfte des internationalen Widerstands, denen wir für ihren aufopferungsvollen Kampf um die Befreiung vom Faschismus zu Dank verpflichtet sind. Allein das sowjetische Volk opferte 27 Millionen Menschenleben.
Lange Zeit wurde nach dem Ende des Krieges in der Bundesrepublik Deutschland vom 8.Mai als Tag der Niederlage, des Zusammenbruchs, der Katastrophe, der dunkelsten Stunde deutscher Geschichte gesprochen.
Vor mehr als 40 Jahren erklärte meine Mutter dazu:
„Dieser Tag, von dem an keine Mutter mehr um ihre Kinder zittern, nicht mehr voller Ängste in die Luftschutzkeller rennen musste, das Ende des Inferno der explodierenden Bomben, keine Soldaten mehr in die Schlachtfelder und ins Massengrab getrieben, keine Transporte mehr in die Gaskammern von Auschwitz, der Tag, an dem sich die Tore der Zuchthäuser und Konzentrationslager öffneten, das Ende der Zuchthaus- und KZ-Qualen, keine Blutrichter mehr, die Todesurteile mehr fällen konnten. Das soll die dunkelste Stunde, die Katastrophe unserer deutschen Geschichte sein? Nein, wir haben allen Grund, diesen Tag zu feiern, der das dunkelste, das entsetzlichste, das schrecklichste Kapitel deutscher Geschichte beendete und uns das Kostbarste brachte – den Frieden.“

40 Jahre hat es gedauert, bis ein Bundespräsident, Richard von Weizsäcker, vom 8. Mai als „Tag der Befreiung“ sprach.
Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg, das schworen die Überlebenden des barbarischen NS-Regimes, das war der Grundkonsens nach dem Ende des Krieges 1945, der auch das Grundgesetz vor 75 Jahren prägte. Niemals mehr sollte von deutschem Boden ein Krieg ausgehen.
Als meine Eltern 1945 aus dem Exil in Frankreich, wo sie an der Seite der Résistance gegen Hitler kämpften, nach Deutschland zurückkehrten, hatten sie die Hoffnung, dass Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus und Antikommunismus nie wieder fruchtbaren Boden finden würden.
Wie schnell waren ihre Illusionen zerplatzt. Sie haben es sich nicht vorstellen können, dass in unserem Land ehemalige Nazifunktionäre wieder Karriere machen könnten.
„Niemand von uns, den Überlebenden“, so mein Vater im Jahr 2005, „konnte sich vorstellen, dass es in diesem Land je wieder Aufrüstung, Militär, Militarismus, geschweige denn wieder deutsche Waffen und Soldaten in aller Welt geben könnte.
Mit „nie wieder Auschwitz“ wurde der Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 legitimiert. Es war der erste Kriegseinsatz der Bundeswehr nach 1945. Seitdem zählen militärische Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Normalität.
Die Deutschen haben aufgrund ihrer Geschichte eine besondere Verantwortung, nie wieder an Kriegen beteiligt zu sein und alles zu tun, sich für ihre Beendigung und für friedliche Lösungen einzusetzen. Stattdessen trägt unsere Regierung heute durch eine gigantische, nie dagewesene Aufrüstung und Waffenlieferungen in die Kriegsgebiete zur Eskalation der kriegerischen Konflikte in der Ukraine und in Nahost bei. Die beschlossenen 100 Milliarden für die Bundeswehr reichen manchen Politikern nicht mehr, schon ist von 300 Milliarden die Rede, um die Bundeswehr „kriegstüchtig“ zu machen und die Militarisierung voranzutreiben.
Die Deutschen haben angesichts ihrer Geschichte eine besondere Verantwortung und Verpflichtung für den Schutz jüdischen Lebens, für die Existenz und Sicherheit Israels. Unerträglich aber finde ich es, wenn Kriegsverbrechen an der palästinensischen Bevölkerung, als Antwort auf Verbrechen der Hamas, mit dem von Nazideutschland begangenen Völkermord an Juden legitimiert werden. Ich finde es unerträglich, wenn der Holocaust instrumentalisiert wird, wenn jede Kritik am Vorgehen des israelischen Militärs, wenn Proteste gegen die Jahrzehnte andauernde Besatzungspolitik und ihre bedingungslose Unterstützung durch die Bundesregierung, wenn alles dies als „antisemitisch“ kriminalisiert und zum Schweigen gebracht wird. Ich finde es unerträglich, wenn die Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung, die Zehntausende Opfer im Gaza zu beklagen hat, deren Infrastruktur im Gaza durch flächendeckende Bombardierung erbarmungslos zerstört wird, die Menschen von Hungersnot bedroht sind, wenn diese Solidarität mit dem Stigma des „Antisemitismus“ behaftet wird. Mitgefühl und Solidarität mit dem Leiden der palästinensischen Bevölkerung und ein Ende der Kriegshandlungen zu fordern, hat nichts mit Judenhass, nichts mit Antisemitismus zu tun. Es geht um Menschlichkeit, um ein friedliches, gleichberechtigtes und menschenwürdiges Leben der palästinensischen und der jüdischen Bevölkerung. Das kann niemals militärisch, sondern nur durch ein Ende der Besatzung erreicht werden.
Antisemitisch dagegen sind die Anschläge auf Synagogen, Schändung von Gedenkstätten und Stolpersteinen, Verharmlosung des Holocaust durch Neonazis und Politiker der AfD, für die die NS-Zeit ein „Vogelschiss der Geschichte“ und das Holocaust-Mahnmal „ein Mahnmal der Schande“ ist. Äußerungen von Politikern der AfD, die im Bundestag sitzen. Sie schüren mit ihren antisemitischen und rassistischen Äußerungen Hass auf Migranten und prägen ein Klima, das zur Aushöhlung des Asylrechts durch die Regierungsverantwortlichen geführt hat. Das Grundrecht auf Asyl ist ein Menschenrecht. Es war die Antwort auf den Faschismus, der viele Verfolgte in die Flucht aus Deutschland in andere Länder trieb, um den Mördern zu entkommen. In vielen Ländern fanden sie Asyl und solidarische Hilfe.
Heute, in einer Zeit zunehmender kriegerischer Konflikte und sozialem Elend treibt es immer mehr Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Statt sich dem Schutz der Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, anzunehmen, werden an den EU-Außengrenzen, auch mit Zustimmung unserer Regierung, Ghettos errichtet, um Asylsuchende abzuwehren und zurückzuschicken. Wir dürfen nicht nachlassen, uns gegen dieses inhumane Vorgehen, gegen Rassismus und Ausgrenzung, gegen die menschenverachtenden Remigrationspläne rechter Kräfte zur Wehr zu setzen, so wie es zig Tausende Menschen vor ein paar Wochen auf den Straßen zum Ausdruck brachten. Denn, so mahnte mein Vater: „Die Faschisten sind nicht an die Macht gekommen, weil sie stärker waren als ihre Gegner, sondern weil wir uns nicht rechtzeitig zusammengefunden haben“.
Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus, der 8.Mai muss ein nationaler Feiertag werden. Wir brauchen keinen „Veteranentag“, an dem die Kriegseinsätze der Bundeswehrsoldaten geehrt werden.
Wir brauchen einen Tag der Hoffnung auf eine Welt ohne Krieg, Elend und Unterdrückung, so wie es die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano ausdrückte: „Ein Tag, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann. Das ist überfällig seit sieben Jahrzehnten… Am 8.Mai wäre dann die Gelegenheit, über die großen Hoffnungen der Menschheit nachzudenken: Über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit.“

Ansprache 1. Mai 2024 DGB Kulturfest

1. Mai 2024

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass ich eure verdiente Pause mit einer kurzen Ansprache störe, hat etwas damit zu tun, dass wir in etwa 6 Wochen wieder einmal eine entscheidende Wahl in unseren Landen haben, nämlich die Wahlen zum Europäischen Parlament.
Natürlich werde ich euch nicht zur Wahl einer der kandidierenden Parteien aufrufen – ich möchte nur dringend an euch appellieren, alles in eurer Macht stehende zu tun, im Betrieb, im gesellschaftlichen und familiären Umfeld, dass wir nicht wieder ein solches politisches Desaster wie bei den hessischen Landtagswahlen erleben. Ihr erinnert euch, dass die AfD – trotz politischer Aufklärungsarbeit von Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Initiativen – flächendeckend etwa 18% der Wählerstimmen erzielen konnte.
Weil wir nicht wollen, dass die extreme Rechte, dass Nazis wie Björn Höcke, sich durch diese Wahl gestärkt fühlen, dass sie uns als Wählerinnen und Wähler in Brüssel vertreten, obwohl ihnen Europa – mit Ausnahme der europäischen Finanzmittel für ihre Arbeit – „am Arsch vorbei geht“.

Im Frühjahr dieses Jahres haben auch in Nordhessen – und nicht nur in Kassel – viele Tausend Menschen gezeigt, dass sie in Sorge sind wegen der politischen Rechtsentwicklung. Diese Menschen zu mobilisieren ist eine lohnenswerte Herausforderung.
Das kann man beispielsweise mit der Aktion am kommenden Samstag auf dem Friedrichsplatz unter dem Motto „Platz nehmen für Demokratie“ tun, die auch vom DGB und vielen städtischen Institutionen unterstütze wird. Nehmt diese Gelegenheit zum Dialog wahr – unterstützt die demokratischen Kräfte in dieser Stadt.
Gegen die Geschichtsvergessenheit der extremen Rechten setzen wir unsere Erinnerungsarbeit. Auch in diesem Jahr laden wir zum 8. Mai unter der Forderung von Esther Bejarano „Der 8.Mai muss Feiertag werden!“ um 16:00 h zu einer Gedenkveranstaltung im Ehrenmal für die Opfer des Faschismus im Fürstengarten ein.
Mit beiden Aktionen könnt ihr ein sichtbares Zeichen der Kasseler Stadtgesellschaft gegen die Rechtsentwicklung setzen.

Doch nicht nur in unserem Land, auch in vielen europäischen Ländern besteht die Gefahr des Vormarsches der extremen Rechten. Daher hat die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) schon im Herbst vergangenen Jahres zu einer europaweiten Aktion „Keine Stimme der extremen Rechten!“ aufgerufen. In Deutschland und Österreich, in den Niederlanden, Belgien und Frankreich, in Italien und Spanien treten die antifaschistische Verbände gemeinsam unter dieser Losung an, um den Vormarsch der extremen Rechten in ihren Ländern zu stoppen.
Und wenn ich die Aktionen am vergangenen Donnerstag in Italien betrachte, wo hunderttausende für die Verteidigung der antifaschistischen Verfassung demonstrierten, oder die großartige Massendemonstration in Lissabon zum 50. Jahrestag der „Nelken-Revolution“, dann habe ich wieder Optimismus.
Ich habe in Lissabon erlebt, wie hunderttausende Menschen auf der Avenida de Liberdad, darunter viel junge Leute, fast fünf Stunden demonstrierten. Immer wieder war der Slogan zu hören „Fascismo nunca mais!“ – „Nie wieder Faschismus!“

In diesem Sinne wünsche ich mir, dass es uns gemeinsam gelingt – und dazu brauchen wir den Einsatz jedes Einzelnen – den Vormarsch der extremen Rechten hier in Hessen und in Europa zu stoppen.
Für ein friedliches, sozial gerechtes und demokratisches Europa aller Menschen.

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