Auf der Demonstration des „Bündnis gegen Rechts“ am 17. September in Kassel hatte die VVN-BdA die Rede an dem Mahnmal „Die Rampe“ übernommen. Nachfolgend die Ansprache im Wortlaut:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde,
Das Mahnmal „Die Rampe“ erinnert uns in seiner ganzen Eindringlichkeit an die Politik der systematischen – industriell betriebenen – Vernichtungspolitik des deutschen Faschismus. Der Waggon ist Ausdruck der Deportationen per Reichsbahn. Als Höhepunkt des menschenverachtenden, eliminatorischen Antisemitismus fuhren diese Deportationszüge aus allen Teilen des Deutschen Reiches – und natürlich auch aus Kassel. Sie fuhren – wie bei der Reichsbahn üblich – pünktlich nach Fahrplan und verschleppten die Menschen erst nach Buchenwald, dann nach Theresienstadt, nach Riga und Lublin oder direkt nach Auschwitz.
Eva Nele, die Tochter von Arnold Bode, hat dieses Mahnmal 1982 geschaffen – als Teil der Ausstellung „K18 – Stoffwechsel“ und als Gegensymbol zur Beliebigkeit der damaligen documenta. Dieses Denkmal „erinnert als Mahnmal an die Selektion, Deportation und Vernichtung von Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus. Leiden und Sterben der Kasseler Juden, der geknechteten Ausländer und der Kämpfer im Widerstand sollen unvergessen bleiben.“ So lautete der Text der ersten Hinweistafel.
Eva Nele schuf dieses Denkmal in einer gesellschaftlichen Phase, in der das Verdrängen und Verschweigen der Geschichte der Naziverbrechen durchbrochen werden konnte. Solch ein Gedenken blieb jedoch nicht ohne Attacken. Mehrfach wurde das Mahnmal „Die Rampe“ durch rechte Kräfte aus Kassel beschädigt. Nach einem Brandanschlag musste es vollständig restauriert werden. Aber die Bereitschaft, sich der Geschichte zu stellen, war stärker.
Und wenn wir hier heute gegen Neonazismus in unserer Stadt und gegen die geistigen Brandstifter, die mit Alltagsrassismus und Rechtspopulismus die ideologischen Stichworte für Gewalttätigkeit und Antisemitismus legen, demonstrieren, dann tun wir dies auch in dem Bewusstsein, dass dieses Mahnmal und die Kasseler Geschichte uns in aller Deutlichkeit daran erinnert: Faschismus und Rassismus töten, sind ein Verbrechen – damals und heute.
Nicht umsonst standen nach dem Krieg parteiübergreifend die Forderungen: Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg! Und die Bilder der Trümmer und Zerstörung, aber auch die Verantwortlichen und Ursachen dieser Verbrechen waren im gesellschaftlichen Bewusstsein. Heute erleben wir jedoch eine verstärkte Geschichtsvergessenheit. Dabei sind es nicht die Ereignisse, die vergessen werden, sondern deren Ursachen.
So haben die Einwohner von Kassel natürlich allen Grund, an die Opfer der Bombennacht vom Oktober 1943 in Kassel zu erinnern, problematisch wird es aber, wenn dies – im Sinne faschistischer Diktion – als „alliierter Bombenterror“ deklariert oder einfach nur „vergessen“ wird, dass die Voraussetzungen für Tod und Zerstörung in Kassel die hiesige Rüstungsproduktion und der vom deutschen Faschismus angezettelte Krieg waren. Und genau solche Verfälschung versuchte der „Freie Widerstand“ vor wenigen Jahren in einem geplanten Aufmarsch zum 22. Oktober zu propagieren. Auch damals mobilisierte das „Bündnis gegen Rechts“.
Geschichtsvergessen ist es, wenn auf solche Weise eine Sichtweise der „Deutschen als Opfer“ gesellschaftlich etabliert werden soll. Dies ist ein Ansatz zur Aufrechnung – alle sind halt Opfer gewesen, wir haben uns gegenseitig nichts mehr vorzuwerfen. Dies hat jedoch mit historischer Verantwortung nichts zu tun, eher mit der Verdrängung und Vergessen, wie es in der letzten Zeit vielfältig medial inszeniert wird.
Die Kasseler Neonazis gehen noch einen Schritt weiter. Sie engagieren sich in der neofaschistischen Aufmarsch-Strategie in Dresden zum 13. Februar gegen den „Bomben-Holocaust“, wie sie die alliierten Luftangriffe propagandistisch nennen oder den „Trauermarsch für die alliierten Folteropfer“ in Bad Nenndorf. Selbst vor einer heimlichen Kranzniederlegung zu Ehren der SS-Verbrecher am Ehrenmal in der Karlsaue schrecken sie nicht zurück. Das ist offener Geschichtsrevisionismus. Auch dagegen wehren wir uns mit der heutigen Demonstration.
Und in diesem Zusammenhang erinnert das Mahnmal „Die Rampe“ nicht allein an die rassistisch legitimierte Vernichtungspolitik gegen Juden, Sinti und Roma, Slawen und alle als „minderwertig“ kategorisierten Menschen, sondern auch an die Folgen der faschistischen Kriegspolitik, die – wie in ganz Europa – auch in Kassel Tod und Zerstörung gebracht hat, sowie an die politische Verpflichtung für jeden von uns, heute und morgen aktiv zu werden, um so etwas nie wieder zuzulassen.