Öffentliches Gedenken der Novemberpogrome in Kassel
7. November 2022
Wie in allen Jahren zuvor hatten auch diesmal die VVN-BdA und das Kasseler Friedensforum am 7. November eingeladen zum traditionellen Mahngang auf den Spuren der Verfolgung und der Ausgrenzung. Etwa 50 Antifaschisten, unterschiedlichen Alters und aus verschiedenen politischen Zusammenhängen, nahmen daran teil. In seiner Begrüßungsansprache am Platz der ehemaligen Synagoge unterstrich Dr. Ulrich Schneider für die VVN-BdA:
Ob 84. Jahrestag oder ein anderes Datum, wir erinnern seit mehr als zwei Jahrzehnten daran, dass die Pogromnacht 1938, und damit die Vorbereitung der Deportation auch der Kasseler Jüdinnen und Juden in die Ghettos und Vernichtungslager vor über 80 Jahren, in dieser Stadt „vor aller Augen“ stattfand. Niemand konnte behaupten, er habe davon nichts gewusst, wie uns vor einigen Jahren ein Zeitzeuge in der Rosenstraße anschaulich berichtete.
Mit diesem alljährlichen Gedenkgang halten wir die Erinnerung an Verfolgung und faschistischen Terror lebendig und setzen gleichzeitig ein Signal gegen Neofaschismus und Antisemitismus heute.
In diesem Jahr haben wir unser Botschaft ein wenig gegenüber den vergangenen Jahren verändert. Wir sagen nicht nur:
In Kassel ist kein Platz für Neofaschismus, Rassismus und Antisemitismus.
Sondern betonen auch in aller Deutlichkeit:
Kassel ist keine Stadt des Antisemitismus.
Wir wissen und haben in der öffentlichen Debatte um die documenta15 erleben müssen, Antisemitismus und Rassismus sind keine „historischen“ Themen. Es bedarf aber gerade der historischen Erinnerung, um pauschale Anwürfe und tagespolitische Instrumentalisierungen zu verhindern. Die VVN, aber auch die „Omas gegen rechts“ und andere haben mit ihren Veranstaltungen im ruru-Haus dazu ihren Beitrag geleistet.
Gerade am heutigen Tag wird das sichtbar. Vorhin fand das Gedenken der jüdischen Gemeinde mit der Stadt auf dem jüdischen Friedhof in Bettenhausen statt, jetzt gestalten wir unseren alljährlichen Mahngang und um 18:00 im Rathaus, Bürgersaal findet eine Veranstaltung – gemeinsam mit der Stolperstein-Initiative statt, auf der junge Menschen ihre Projekte zur Erinnerung vorstellen.
Wir werden heute unseren Rundgang zur lokalen Erinnerung mit dem sichtbaren Zeichen des Gedenkens an die Deportation von der heutigen Arnold-Bode-Schule zum Kulturbahnhof verbinden.
An diesen Beispielen zeigt die Zivilgesellschaft, dass das geschichtspolitische Erinnern der antisemitischen Verbrechen tatsächlich gelebt wird.
Es gibt aber keinen Grund, sich beruhigt zurückzulehnen. Ich erinnere daran, nicht nur, weil vor wenigen Tagen Dummköpfe glaubten, an die Mauer der Synagoge Graffitis anbringen zu müssen, dass wir in diesem Jahr mehrfach Hakenkreuz-Schmierereien in der Stadt erleben mussten. Im April schrieben wir dazu einen offenen Brief an die Stadt und die Stadtgesellschaft – eine offizielle Reaktion dazu erreichte uns bis heute nicht. Wegducken oder Ignorieren sind aber keine Antwort. Deshalb ist unser öffentliches politisches Handeln immer wieder gefordert.