Die Vereinigungen der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in Hessen gegründet
16. November 2006
Im Herbst 1946 wurden in verschiedenen Städten Hessens Organisationen ehemaliger politischer Gegner und Verfolgter des Naziregimes gegründet.
Zurückgekehrt aus den Konzentrationslagern und anderen faschistischen Haftstätten, aus der Illegalität oder dem politischen Exil hatten sich die Frauen und Männer, die sich als ausgewiesene Gegner des Naziregimes erwiesen hatten, von Anfang an den Alliierten zum Neuaufbau des demokratischen Deutschlands zur Verfügung gestellt. Und sie bekamen Verantwortung als Ortsbürgermeister, als Polizeichef, als Leiter der Betreuungsstelle für politisch, religiös oder rassisch Verfolgte, als Arbeitsminister in der ersten hessischen Landesregierung.
All dies waren wichtige Funktionen und Aufgaben für einen antifaschistisch-demokratischen Neubeginn. Aber bald wurde erkennbar, dass Antifaschisten und ehemaligen Verfolgten nur dann eine gewichtige Stimme im Prozess der Neugestaltung behalten können, wenn sie organisiert auftreten. Zudem wurden die Betreuungsstellen, die die soziale Hilfe sicherstellen sollten, zu kommunalen Behörden umgewandelt, so dass die politische Interessenvertretung der Überlebenden damit nicht mehr einhergehen konnte.
Aus diesem Grund trafen sich seit dem Sommer 1946 in verschiedenen hessischen Städten die ehemaligen „Konzentrationäre“, wie man sie damals nannte, um über den Aufbau von Vereinigungen der Verfolgten des Naziregimes (VVN) zu beraten. Gemäß der Vorgaben der amerikanischen Besatzungsmacht musste ein Aufbau der Strukturen von unten nach oben erfolgen, obwohl sich die Antifaschisten natürlich hessenweit, im Rahmen der gesamten amerikanischen Besatzungszone und sogar zwischen den verschiedenen Zonen verständigten.
In Nordrhein – Westfalen (britische Zone) konnte schon Ende September 1946 eine Landesorganisation gegründet werden. In einem Schreiben übermittelte der Geschäftsführer der VVN Frankfurt/M. Grüße aus Hessen, obwohl die eigentliche Gründungsversammlung in Frankfurt erst am 17. November 1946 stattfand. Das macht deutlich, dass der Prozess der Konstituierung der Organisation lange vor dem – von den Besatzungsoffizieren zu genehmigenden – Treffen stattfand. In Kassel traf man sich dazu Ende Oktober, in Frankfurt Mitte November.
Die Frankfurter Gründungsfeier fand in den Räumlichkeiten der Westend-Synagoge statt. Es sprachen Oberbürgermeister Walter Kolb, Arbeitsminister Oskar Müller sowie – in unterschiedlichen Funktionen und als Vertreter von SPD, CDU und KPD – die ehemaligen Häftlinge des KZ Buchenwald Hermann Brill, Eugen Kogon und Otto Roth. Diese politische Breite spiegelte sich auch im Vorstand wider, wo alle zugelassenen politischen Parteien, die Glaubensgemeinschaften und andere gesellschaftliche Gruppen vertreten waren.
Die Ziele der Nazigegner waren einfach. Sie waren formuliert im „Schwur von Buchenwald“: „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln, Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit!“. Daraus leiteten sich die weiteren Forderungen ab, beispielsweise würdiges Gedenken der Opfer der faschistischen Verfolgung und Anerkennung der Leistungen des Widerstandes, Weitergabe dieses Wissens an die jungen Generationen, Wiedergutmachung und soziale Absicherung ehemaliger Verfolgter. In Sinne dieses Programms rief die VVN auf, dem Entwurf der Hessischen Verfassung im Referendum am 1. Dezember 1946 zuzustimmen.
Trotz großer Übereinstimmung war die VVN nicht unkritisch gegenüber der Landesregierung. Im Dezember 1949 rief sie zu einer Großkundgebung vor dem Hessischen Landtag auf, da sie sich mit dem Entschädigungsgesetz für faschistisches Unrecht nicht einverstanden erklären konnte.
Bis heute ist die VVN in Hessen politisch aktiv, nun aber als VVN – Bund der Antifaschisten unter Einbeziehung der Angehörigen der heutigen Generationen.