8. Mai 2025 Kassel

9. Mai 2025

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An die 200 Teilnehmer haben an der Feierlichkeit teilgenommen. Jenny Huschke hat eine kämpferische und gewohnt klare Ansprache gehalten mit starken Bezug zur Gegenwart. Für das Kasseler Friedensforum betonte Thomas Jansen-Hochmuth die friedenspolitische Bedeutung des 8. Mai1945.

Im Ehrenmal waren dann noch gut 150 Teilnehmer. Eingebettet in der Musik von Phillip Hofmann haben Silvia Gingold  (VVN-BdA) und Klaus Brocke (Stolpersteine in Kassel e.V.) geredet. Silvia hat aus dem Leben ihrer Mutter im Widerstand und die ersten Jahre eindrucksvoll berichtet. Rolf Wekeck hat aus seinem Buch die Kurzbiografie von Felix Blumenfeld vorgelesen. Eingeleitet wurde die Veranstaltung im Ehrenmal von den gemeinsam gesungenen Lieder „die Moorsoldaten“ und Bella Ciao.

Foto: Michael Schulze von Glaßer

Nachfolgend die Ansprache von Silvia Gingold im Ehrenmal

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

Der 8.Mai 1945: Das Ende der faschistischen Barbarei, der Tag, an dem sich die Tore der Konzentrationslager und Zuchthäuser öffneten und die Todesqualen der Millionen beendete. Das Ende der Gaskammern, der Todesurteile, gefällt von Blutrichtern, das Ende explodierender Bomben, der Schlachtfelder, die Millionen von Soldaten in den Tod trieben – der Beginn des Friedens!

Es waren die Kräfte der Antihitlerkoalition und die Kräfte des internationalen Widerstands, die die Befreiung herbeiführten. Allein das sowjetische Volk opferte 27 Millionen Menschenleben. Es ist eine Schande, Vertreter des Volkes, das die größten Opfer im Kampf gegen den Faschismus brachte, von den offiziellen Feierlichkeiten zur Befreiung auszuschließen. Dazu erklärte die Internationale Widerstandsorganisation (FIR): „Wer glaubt, zwischen ‚guten‘ und ‚bösen‘ Befreiern unterscheiden zu können, der missbraucht die Erinnerung an den Tag der Befreiung für Zielsetzungen, die das Andenken an die Befreier beschädigen.“
 In vielen Länder, die sich gegen die Nazibesatzung wehrten, die an der Befreiung vom Faschismus mitwirkten, ist der 8.Mai ein Feiertag.  Es ist überfällig seit mehr als sieben Jahrzehnten, dass endlich dieser Tag der Befreiung auch bei uns zum nationalen Feiertag erklärt wird, wie es die Auschwitz Überlebende Esther Bejarano gefordert hat.

In der offiziellen Geschichtsdarstellung gibt es fast nur den Widerstand des 20. Juli, allenfalls noch die Weiße Rose der Geschwister Scholl. Bis heute ausgeblendet bleibt der Widerstand der Zehntausenden mutigen Frauen und Männer, zumeist aus der Arbeiterbewegung. Sie haben die Gräuel des faschistischen Terrors nicht hingenommen, sie haben sich gewehrt, von Anfang an.
 Unter ihnen viele mutige Frauen, meist politisch organisiert, insbesondere Kommunistinnen und Sozialdemokratinnen, Christinnen und andere humanistisch gesinnte Frauen. Sie alle verband der Wunsch nach Freiheit und die Sehnsucht nach Frieden.

Eine dieser Frauen war meine Mutter Ettie Gingold, als Jüdin und Kommunistin verfolgt, schloss sie sich dem französischen Widerstand gegen die Nazibesatzung an.

Meine Arbeit bestand darin, Verbindungen aufrechtzuerhalten, Kurierarbeit nannte sich das. In unserem illegalen Häuschen hatten wir auch eine primitive Abzugsmaschine aufgestellt. In einem Wandschrank habe ich die Schreibmaschine eingebaut, damit man von draußen nicht hören konnte, dass geschrieben wurde. So haben wir Flugzettel, Zeitungen und anderes Material hergestellt.

Darin haben wir die deutschen Soldaten aufgefordert, sich zurückzuziehen, nicht weiterzukämpfen, den Krieg zu beenden.

  • Ich bin jeden Tag nach Paris reingefahren. Mein Material war in Nudelpaketen und anderen Lebensmittelpackungen, verpackt. Für Wachsbogen, die man ja rollen musste, benutzten wir lange Spaghettischachteln. Das Ganze habe ich in ein Netz getan, so dass man sehen konnte, dass ich eben »Lebensmittel« transportierte.
     
    Man musste jeden Tag praktisch mit dem Leben abschließen. Wenn man auf die Straße ging, wusste man ja nicht, ob man wiederkommen würde, man konnte ja jederzeit verhaftet und deportiert werden. Besonders schlimm aber war für mich die Trennung von meinem Kind und meinem Mann. Ich wusste ja nie, wenn man mal wegging, ob man sich wiedersehen würde.

Als meine Mutter zusammen mit meinem Vater 1945 aus der Emigration nach Deutschland zurückkehrte, wollte sie und mit ihr viele überlebende Antifaschistinnen und Antifaschisten daran mitwirken, dass der Schwur von Buchenwald Wirklichkeit wird, den Nazismus mit seinen Wurzeln zu vernichten. Dass von deutschem Boden nie mehr Krieg ausgeht.

Meine Eltern haben es sich nicht vorstellen können, dass nach den Erfahrungen des grausamen und mörderischen Hitlerkrieges, am Ende des 20.Jahrhunderts deutsches Militär wieder an Kriegen, wie 1999 in Jugoslawien, beteiligt sein würde, dass militärische Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Normalität würden.

Und heute wären sie entsetzt, darüber, dass 80 Jahre nach der Niederschlagung der deutschen Wehrmacht der Ruf nach Kriegstüchtigkeit, eine gigantische Hochrüstung, die Militarisierung unserer Gesellschaft, die Einstimmung der Bevölkerung auf Krieg, das öffentliche Leben bestimmen.

Sie wären entsetzt über das Erstarken faschistischer und antidemokratischer Kräfte in Europa und bei uns, über deren Verharmlosung und Relativierung der Naziverbrechen.

Und sie wären entsetzt über die menschenverachtende Asyldebatte, das bis zur Unkenntlichkeit verkümmerte Asylrecht, die rechtswidrigen Abschiebungen und Zurückweisungen, den Überbietungswettbewerb über die schärfsten Maßnahmen gegenüber Flüchtenden, die vor Krieg, Gewalt und Elend bei uns Schutz suchen.Als leidenschaftliche Friedenskämpferin auch nach dem Krieg erklärte meine Mutter am Antikriegstag 1983 in Frankfurt/M und im Bonner Hofgarten anlässlich der Stationierung von Atomraketen: Glaubt mir, ich sammle lieber Unterschriften gegen die Stationierung der Atomraketen, als große Reden zu halten.
 Während der Nazizeit haben wir niemals den Friedenskampf aufgegeben Im Krieg haben wir gegen den Krieg gekämpft, alles in Kauf nehmend, Not, Folter, Gefängnis. Mein damals zweijähriges Kind musste ich bei einer Bauernfamilie verstecken, um es vor Auschwitz, vor der Gaskammer zu retten.
 Wir, die noch in Freiheit lebenden Widerstandskämpfer wussten nicht,ob wir morgen in den Händen der SS sein werden.Da haben wir uns geschworen: Sollten wir überleben, wir werden alles tun, damit nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg, nie wieder ein Weltbrand von deutschem Boden ausgeht.
 Sofort nach 1945 entschieden wir uns dafür, der beginnenden Wiederaufrüstung entgegenzuwirken. Heute geht es darum, die Verwandlung unseres Landes in eine Abschussrampe für amerikanische Erstschlagwaffen zu verhindern.
 In die Friedensbewegung bringen wir unsere bitterste Erfahrung ein: Hitler, Krieg und Auschwitz waren möglich, weil die Antifaschisten, die Demokraten, die Sozialdemokraten und Kommunisten nicht zueinander gefunden haben. Erst im illegalen Widerstand, im Zuchthaus und KZ haben wir uns verständigt und niemanden mehr gefragt, wer er sei. Aber es war zu spät..
 Würden die Toten des Zweiten Weltkrieges auch nur einen Augenblick auferstehen können, es wäre ein einziger Aufschrei von Millionen: ‚Wiederholt unsere Fehler nicht, macht es besser als wir, steht zusammen. Erhaltet die Gemeinschaft Eurer Friedensbewegung, damit Ihr nicht wie wir zu einer Gemeinschaft von Toten werdet.‘
 Wir dürfen nicht auf die Politiker hoffen, wir müssen sie unter Druck setzen, wir müssen von ihnen fordern: Geben Sie für das Leben, was Sie für den Tod ausgeben!“

Diese Forderung meiner Mutter, Ich wiederhole sie heute nach über 40 Jahren: Geben Sie für das Leben, was Sie fürden Tod ausgeben!