9000 in Kassel gegen Rechtsentwicklung – für Demokratie
18. Januar 2025
Am 18. Januar versammelten sich – laut Veranstaltern – 9000 Menschen vor dem Staatstheater in Kassel zu einer Kundgebung und einer anschließenden Demonstration durch die Innenstadt. Es war eine bunte und vielfältige Aktion, an der alle Generationen vertreten waren – von jungen Leuten bis zu den Omas gegen Rechts, von Gewerkschaftsgruppen bis zu Seebrücke – und natürlich Mitglieder der VVN-BdA.
Bei der Auftaktkundgebung konnte die VVN-BdA einen kurzen Redebeitrag halten, den wir hier dokumentieren, da aufgrund der großen Teilnehmendenzahl nicht alle die Rede hören konnten.
Der Frankfurter jüdische Kommunist und Résistance Kämpfer Peter Gingold betonte bei vielen seiner Zeitzeugengespräche als eine Lehre des Jahres 1933: Der Faschismus habe nicht deshalb gesiegt, weil er stärker war, sondern weil seine Gegner uneins gewesen seien. Für diese Uneinigkeit gäbe es nur eine Entschuldigung. Man habe damals nicht gewusst, was der Faschismus an der Macht bringen würde. Diese Entschuldigung gilt heute nicht mehr, heute könne und müsse jeder wissen, was Faschismus bedeutet.
Das ist einer der Gründe, warum wir von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) immer wieder – und nicht nur anlässlich „runder Jubiläen“ – an historischen Gedenktagen öffentlich erinnern. Am 27. Januar, dem Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die sowjetische Armee 1945, am 7. November, der im Jahre 1938 in Kassel den Beginn der Reichspogromnacht markierte, jener Tag, wo vor den Augen der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt Rassismus und Antisemitismus gewalttätig vollzogen wurden, aber auch am 8. Mai, dem Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg – wurde doch an diesem Datum auch gezeigt, dass die Gefahr der nazistischen Barbarei durch das gemeinsame Handeln aller Antifaschisten besiegt werden konnte. Ich meine ausdrücklich nicht nur die Kampfeinheiten der Alliierten, sondern auch den Widerstand in allen vom deutschen Faschismus okkupierten Ländern und die Antifaschisten im Deutschen Reich selber.
Deshalb erinnern wir an die Frauen und Männer in unserer Stadt, die unter Gefahr für Freiheit, Gesundheit und selbst ihr Leben bereit waren, sich dieser Bedrohung schon vor 1933 und unter den Bedingungen der faschistischen Verfolgung entgegenzustellen. Selbst wenn dieser Kampf – im Sinne des Sturzes des NS-Regimes – nicht erfolgreich war, so zeigt er uns als Nachgeborene, dass es immer möglich war und ist, hörbar „Nein“ zu sagen, wenn Unmenschlichkeit, Kriegsvorbereitung und Zerstörung der Demokratie drohen.
Wir haben schon in Redebeiträgen gehört, gegen welche Bedrohungen der Demokratie wir heute laut und vernehmlich „Nein“ sagen müssen. Dabei sind die treibenden Kräfte nicht allein die offenen Faschisten. Manchmal sind diese nur die lautesten Stichwortgeber. Es sind oftmals auch diejenigen, die in einer Art Überbietungswettbewerb z.B. bei der Verschlechterung des Asylrechtes – eine Konsequenz aus den Erfahrungen faschistischer Verfolgung – unsere demokratische Ordnung, wie sie im Grundgesetz und Hessischer Landesverfassung fixiert ist, in Frage stellen.
Mehrfach schon wurden Entscheidungen der Regierenden durch höchste Gerichte zurückgewiesen. Das sind gute Zeichen einer funktionierenden Demokratie. Aber wenn man den Blick über unsere Landesgrenze richtet, z.B. nach Italien, Polen und Ungarn, dann sehen wir, wie solche juristischen Schutzschilde von der extremen Rechten zerstört werden.
Das war schon früher so. Im Sommer 1932 wurde die preußische Minderheitsregierung durch die Reichsregierung abgesetzt. Die SPD rief den Staatsgerichtshof an, bekam nach Monaten tatsächlich Recht, aber die faktische Kontrolle über die preußische Polizei und den Staatsapparat übte zu diesem Zeitpunkt bereits die extreme Rechte aus, so dass das sozialdemokratische Preußen kein Bollwerk gegen den Vormarsch der Nazis sein konnte. Der Schutz der Demokratie – und das ist eine historische Schlussfolgerung – kann nur durch den aktiven Einsatz der Zivilgesellschaft erfolgen. Die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano betonte immer wieder, beim Kampf gegen die extreme Rechte könne man sich auf den Staat nicht verlassen. So wie wir heute zusammenstehen, so müssen wir auch weiter gemeinsam gegen die Gefahren der Rechtsentwicklung und für unsere Demokratie aktiv sein. Die VVN-BdA wird ihren Beitrag dazu leisten.
