Morde in den Fuldabergen
27. März 2020
Im Zuge der Auflösung des Arbeitserziehungslagers (AEL) Breitenau wurden am 29. März 1945 gegen 11 Uhr morgens 30 – 40 Schutzhaftgefangene unter Bewachung von einem Gestapo-Mann und 5-6 SS-Männern nach Kassel gebracht. Sie sollten dort, nach Aussage einer ehemaligen Gestapo-Mitarbeiterin, auf Befehl des Gestapostellenleiters Marmon, der in der Karwoche 1945 zum Kommandeur der Sicherheitspolizei ernannt worden war, auf einem Friedhof erschossen werden.
Da die Gestapo jedoch fürchtete, dass die amerikanischen Truppen zuerst Kassel erreichen würden, kehrte das Kommando mit den Gefangenen nachts nach Breitenau zurück. Da einigen Männern auf dem Weg die Flucht gelungen war, kehrten nur 33 Gefangene zurück, die im Flur des Zellenbaus eingeschlossen wurden.
Anschließend wurden von den verbliebenen Schutzhaftgefangenen, die am kommenden Tag evakuiert werden sollten, zehn ausgewählt, um am Fuldaberg das Massengrab auszuheben. Einer der am Massenmord beteiligten Gestapo-Männer sagte später aus: „Gegen Mitternacht (…) habe ich in Breitenau von Kriminal-Kommissar und SS-Hauptsturmführer Engels den Auftrag bekommen, zusammen mit Kriminalassistent N. und 5 bis 6 SS-Leuten die Grabung eines Loches durch Häftlinge vorzunehmen. Er wurde mir gesagt, dass es für Leichen von Plünderern, die erschossen werden sollten, dienen würde. Den Häftlingen sollten wir sagen, es sei zum Vergraben von Akten.“
Während die Gefangenen unter Bewachung von einigen SS-Männern bei dem Grab warten mussten, gingen die beiden Gestapoleute mit den anderen SS-Männern in das Lager Breitenau zurück. Dort erhielten sie von Engels den Befehl, gemeinsam mit dem SS-Sturmscharführer und Kriminalsekretär Peter Frischkorn die Erschießung durchzuführen. Die Gefangenen wurden nacheinander in drei Gruppen aus dem Zellenbau herausgeholt. Ein SS-Obersturmführer der Gestapo hatte eine Liste bei sich, aus der er jeweils 10 Gefangene aufrief. Anschließend wurden immer zwei Gefangene mit Stricken aneinander gefesselt und dann zum vorbereiteten Massengrab geführt. Drei Gefangene blieben von der Ermordung verschont. Nach Aussage des Nachtaufsehers habe der Gestapo-Mann sie in drei Einzelzellen gesperrt und daraufhin das Zellengebäude verlassen.
Die Gefangenen wurden vor den Augen derjenigen, die das Grab ausgehoben hatten, ermordet. Ein französischer Häftling berichtete: „Es wurde uns befohlen, 20 m zurückzugehen. Da sahen wir 10 Gefangene in Handschellen kommen, immer 2 zu 2 verbunden. Die SS befahl ihnen, am Rand der Grube niederzuknien mit dem Gesicht zur Erde. Dann töteten sie sie durch Genickschuss.
Jedes Mal mussten wir sie losbinden und sie nebeneinander in dieses schändliche Grab legen. (…) Die zweite Zehnergruppe kam heran, aber hier muss ich jetzt ausdrücklich betonen: ein Gefangener befreite sich, sprang in die bewaldete Schlucht, schwamm durch die Fulda, und wir hörten ihn am anderen Ufer wieder weiterlaufen. Niemand hatte reagiert, und so haben wir bloß 9 beerdigt. – Die letzte Zehnergruppe kam heran. Es spielte sich dasselbe ab. In der Aufregung und Verwirrung konnte ein weiterer Häftling fliehen.“
Anschließend mussten die Gefangenen unter Aufsicht von 4 Wachleuten die Grube wieder zuwerfen. Von diesen wurden sie gezwungen, einen Gefangenen, der noch nicht tot war und unentwegt schrie, mit Steinen zu erschlagen. „Wir sind gegen 5 Uhr morgens ins Lager zurückgekehrt, und wieder steckte man uns in Einzelhaft. Es ist unnötig, unsere seelische Verfassung zu beschreiben. Wir dachten immer an das, dessen Zeugen wir gewesen waren.“
Unter den 28 Ermordeten befanden sich 16 sowjetische, 10 französische und zwei niederländische Gefangene. Bisher konnten lediglich zehn Opfer namentlich ermittelt werden; die Franzosen Marcel Delacroix, Maurice Courault, Andre Lamic, Joseph Duquesney, Louis Nouaille und Legrand, sowie die aus der Sowjetunion stammenden Stanislaus Ivanow, Andre Ivanow, Siergiej Tarassjuk und der Ukrainer Valentin Domaschewski. Über die anderen Opfer gibt es lediglich einzelne Anhaltspunkte aus Gegenständen, die bei ihnen gefunden wurden, wie z.B. Kriegsgefangenenmarken. Bei einer späteren Exhumierung der Toten im Jahre 1960 ergab sich, dass die Toten zwischen 17 und 40 Jahre alt gewesen sind.